Ein Staat schafft sich ab
Vor 25 Jahren beschloss die Volkskammer der DDR den Beitritt zur Bundesrepublik
Um 2.47 Uhr in der Nacht zum 23. August 1990 ist es soweit: Die frei gewählte Volkskammer beschließt den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Damit wurde auch der 3. Oktober zum neuen Nationalfeiertag.
Berlin. Es war mitten in der Nacht, als die letzte DDR-Volkskammer so richtig Geschichte schrieb. Am 23. August 1990, um 2.47 Uhr, verkündete Parlamentspräsidentin Sabine Bergmann-Pohl (CDU) mit Wirkung zum 3. Oktober den Beitritt der Deutschen Demokratischen zur Bundesrepublik. Der Applaus war stürmisch – wenn auch, gemessen an der Bedeutung, mit 28 Sekunden einigermaßen kurz.
Das hatte gewiss mit der späten Stunde zu tun, aber auch damit, dass der historische Beschluss erst nach quälend langen Debatten über Verfahren und Termine zustande kam. Schließlich jedoch gab es eine satte Zwei-DrittelMehrheit: 294 Abgeordnete stimmten dafür, 62 dagegen, darunter alle Mandatsträger der SED-Nachfolgepartei PDS. Große Feiern gab es in der Nacht keine. Bemerkenswert war allenfalls noch, dass der noch junge PDSChef Gregor Gysi aus dem gegnerischen Lager unfreiwillig den Applaus seines Lebens einheimste. Seine bedauernd gemeinte Feststellung, die Volkskammer habe den „Untergang“der DDR beschlossen, ging im Jubel von CDU-Abgeordneten unter.
Vorangegangen waren große Diskussionen über den besten Weg zur deutschen Einheit. Nachdem die erste Mauerfall-Euphorie vorüber war, wurde in Ost und West heftig gestritten. Im Wesentlichen gab es dabei zwei Denkrichtungen, die sich auf zwei verschiedene Artikel des Grundgesetzes beriefen.
Die einen waren für den Beitritt nach dem ursprünglichen Artikel 23: „Dieses Gesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.“Für Bundeskanzler Helmut Kohl
1990: DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière (mit Brille) im Gespräch mit dem heutigen Bundespräsidenten Joachim Gauck (r.).
(CDU) war dies der „Königsweg zur deutschen Einheit“. Wichtigstes Argument: Die Vereinigung könnte relativ schnell und einfach vonstattengehen. Außerdem gab es ein historisches Vorbild: Über Artikel 23 war 1957 bereits das Saarland zur Bundesrepublik hinzugekommen.
Die andere Variante war Artikel 146: „Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“Also eine neue Verfassung und ein Volksentscheid. Damit, so die Argumente, gäbe es einen echten Neubeginn, mehr Gleichberechtigung und demokratische Legitimation. Nachteil: Es hätte gedauert.
Mit dem Erfolg des Drei-Parteien-Bündnisses „Allianz für Deutschland“unter Führung der CDU bei der Volkskammerwahl im März 1990 war die Entschei- dung praktisch durch. In der Vereinbarung für eine große Ost-Koalition unter Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU) akzeptierte auch die SPD die Gangart nach Artikel 23 – auch wenn Willy Brandt dies zuvor als „Holzweg“bezeichnet hatte.
Kaum war der Streit über das Verfahren vorbei, kam es zu einem Hin und Her über den Beitrittstermin. Im Laufe des Sommers gab es die verschiedensten Vorschläge (vom 17. Juni bis zum 14. Oktober), worüber dann auch die Ost-SPD die große Koalition wieder verließ. In einer turbulenten Sondersitzung einigte sich die Volkskammer schließlich auf einen Beitritt am 3. Oktober. Mit dem Einigungsvertrag wurde dieser dann auch zum neuen „Tag der Deutschen Einheit“erklärt.