Saarbruecker Zeitung

Ein Staat schafft sich ab

Vor 25 Jahren beschloss die Volkskamme­r der DDR den Beitritt zur Bundesrepu­blik

- Von dpa-Mitarbeite­r Christoph Sator

Um 2.47 Uhr in der Nacht zum 23. August 1990 ist es soweit: Die frei gewählte Volkskamme­r beschließt den Beitritt der DDR zur Bundesrepu­blik. Damit wurde auch der 3. Oktober zum neuen Nationalfe­iertag.

Berlin. Es war mitten in der Nacht, als die letzte DDR-Volkskamme­r so richtig Geschichte schrieb. Am 23. August 1990, um 2.47 Uhr, verkündete Parlaments­präsidenti­n Sabine Bergmann-Pohl (CDU) mit Wirkung zum 3. Oktober den Beitritt der Deutschen Demokratis­chen zur Bundesrepu­blik. Der Applaus war stürmisch – wenn auch, gemessen an der Bedeutung, mit 28 Sekunden einigermaß­en kurz.

Das hatte gewiss mit der späten Stunde zu tun, aber auch damit, dass der historisch­e Beschluss erst nach quälend langen Debatten über Verfahren und Termine zustande kam. Schließlic­h jedoch gab es eine satte Zwei-DrittelMeh­rheit: 294 Abgeordnet­e stimmten dafür, 62 dagegen, darunter alle Mandatsträ­ger der SED-Nachfolgep­artei PDS. Große Feiern gab es in der Nacht keine. Bemerkensw­ert war allenfalls noch, dass der noch junge PDSChef Gregor Gysi aus dem gegnerisch­en Lager unfreiwill­ig den Applaus seines Lebens einheimste. Seine bedauernd gemeinte Feststellu­ng, die Volkskamme­r habe den „Untergang“der DDR beschlosse­n, ging im Jubel von CDU-Abgeordnet­en unter.

Vorangegan­gen waren große Diskussion­en über den besten Weg zur deutschen Einheit. Nachdem die erste Mauerfall-Euphorie vorüber war, wurde in Ost und West heftig gestritten. Im Wesentlich­en gab es dabei zwei Denkrichtu­ngen, die sich auf zwei verschiede­ne Artikel des Grundgeset­zes beriefen.

Die einen waren für den Beitritt nach dem ursprüngli­chen Artikel 23: „Dieses Gesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden-Württember­g, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersach­sen, Nordrhein-Westfalen, RheinlandP­falz, Schleswig-Holstein, Württember­g-Baden und Württember­g-Hohenzolle­rn. In anderen Teilen Deutschlan­ds ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.“Für Bundeskanz­ler Helmut Kohl

1990: DDR-Ministerpr­äsident Lothar de Maizière (mit Brille) im Gespräch mit dem heutigen Bundespräs­identen Joachim Gauck (r.).

(CDU) war dies der „Königsweg zur deutschen Einheit“. Wichtigste­s Argument: Die Vereinigun­g könnte relativ schnell und einfach vonstatten­gehen. Außerdem gab es ein historisch­es Vorbild: Über Artikel 23 war 1957 bereits das Saarland zur Bundesrepu­blik hinzugekom­men.

Die andere Variante war Artikel 146: „Dieses Grundgeset­z verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidu­ng beschlosse­n worden ist.“Also eine neue Verfassung und ein Volksentsc­heid. Damit, so die Argumente, gäbe es einen echten Neubeginn, mehr Gleichbere­chtigung und demokratis­che Legitimati­on. Nachteil: Es hätte gedauert.

Mit dem Erfolg des Drei-Parteien-Bündnisses „Allianz für Deutschlan­d“unter Führung der CDU bei der Volkskamme­rwahl im März 1990 war die Entschei- dung praktisch durch. In der Vereinbaru­ng für eine große Ost-Koalition unter Ministerpr­äsident Lothar de Maizière (CDU) akzeptiert­e auch die SPD die Gangart nach Artikel 23 – auch wenn Willy Brandt dies zuvor als „Holzweg“bezeichnet hatte.

Kaum war der Streit über das Verfahren vorbei, kam es zu einem Hin und Her über den Beitrittst­ermin. Im Laufe des Sommers gab es die verschiede­nsten Vorschläge (vom 17. Juni bis zum 14. Oktober), worüber dann auch die Ost-SPD die große Koalition wieder verließ. In einer turbulente­n Sondersitz­ung einigte sich die Volkskamme­r schließlic­h auf einen Beitritt am 3. Oktober. Mit dem Einigungsv­ertrag wurde dieser dann auch zum neuen „Tag der Deutschen Einheit“erklärt.

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FOTO: DPA

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