Sinfonie der Großstadt
Bei der Sommer Szene entstaubt das N.N. Theater Fritz Langs Klassiker „Metropolis“
Am Samstag geht das Straßentheater-Festival Sommer Szene zu Ende. Am Donnerstag bot es am Alten Dillinger Schloss einen Höhepunkt: den Auftritt des Kölner N.N. Theaters – gute Bekannte des Festival.
Dillingen. Der Weltraum. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2015, und die Besatzung des Raumschiffs Mare Nostrum landet bei der Suche nach einer neuen Heimat auf dem Planeten Metropolis, wo die Neuankömmlinge umgehend als Arbeiter versklavt werden. Das ist die futuristische Rahmenhandlung, die das N.N. Theater für seine just erst uraufgeführte Bühnenfassung von Fritz Langs monumentalem Stummfilm „Metropolis“(1927) erdacht hat.
Die Kölner sind das einzige Ensemble, dessen Produktio- nen die Sommer Szene-Macher Charlie Bick und Marion Künster quasi blind einkaufen – als komödiantische KlassikerAdaptionen gehören sie seit 30 Jahren zu den Höhepunkten des Straßentheaterfestivals. Bei ihrer Fassung von „Metropolis“stützt sich das N.N. Theater auf die Romanvorlage von Thea von Harbou und ließ am Donnerstag am Alten Schloss in Dillingen die expressionistische Kulisse einer Großstadt auferstehen, in der die unterdrückte Arbeiterschaft den Aufstand gegen die ausbeuterische Herrscherklasse probt. Fünf Schauspieler (Irene Schwarz, Oliver Schnelker, Bernd Kaftan und die beiden Neuzugänge Aischa Lina Löbbert und Nils Buchholz) wirbeln überzeugend in wechselnden Rollen; Kaftan ist außerdem als Bühnenmusiker für die fabelhafte akustische Kulisse verantwortlich: An Keyboards und Theremin zaubert er Atmosphäre mit düsteren Industriesounds und ScienceFiction-Klängen. Gelungener Seitenhieb: Nur wenn die Arbeitermenge manipulativ verblendet ist, läuft stumpfsinniger Techno.
Regie führte erstmals Ensemble-Mitglied Michl Thorbecke, der die Handlung im Wesentlichen auf die Liebesgeschichte zwischen Arbeiterin Maria und Herrscher-Sohn Freder konzentriert, dabei aber die sozialkritischen Aspekte nicht ausspart – im Gegenteil: Thorbecke schafft es, aktuelle Zeit-Bezüge wie die Flüchtlingsproblematik zu integrieren und gleichzeitig literarische Zitate und andere Reminiszenzen als witziges oder kommentierendes Beiwerk einzuflechten. Die Ausstattung ist exemplarisch für die Vorgehensweise der Truppe, mit einfachsten Mitteln eine bombastische wie komische Wirkung zu erzielen. In der Mitte thront hier eine Art hydraulischer Kraken, der seine aus Leitern geformten starren Tentakel auf und ab bewegen kann. Er trennt Ober- und Unterwelt: Unten wird malocht, derweil man oben dem luxuriösen Müßiggang frönt und in weißer Seide Federball spielt. Das Motiv der Leiter taucht auch auf, wenn es gilt, die Maschinen nachzuformen, an denen die Arbeiter Frondienst verrichten. Außerdem sind noch Pfannen und andere zweckentfremdete Haushaltsgegenstände auf humoristischer Mission unterwegs – etwa das gemeine Küchensieb, das unter anderem als Persiflage aufs Raumschiff Enterprise durch die Luft düst. Phantastisch und skurril sind auch die Kostüme, und im Vordergrund surrt ein Höllengenerator, der Menschen willenlos macht und als Referenz auf die cineastische Vorlage nicht von ungefähr an alte Filmprojektoren erinnert. Ganz großes Kino.