Witaj – Willkommen in der Heimat der Sorben
In Sachsen und Brandenburg bereichert eine slawische Minderheit mit Sprache, mit Sitten und Bräuchen den Alltag
Das freundliche „Dobry zen´´“(Guten Tag) am Telefon, zweisprachige Straßenschilder, Mädchen und Frauen in üppigen Trachten – die Lausitz zwischen Görlitz, Bautzen, Cottbus und Lübben ist Heimat der Sorben und Wenden.
Cottbus/Bautzen. In Brandenburg haben die Sorben/Wenden eine Wahl hinter sich, von der sie Jahrhunderte nur träumen konnten. Ihre Vertretung im Brandenburgischen Landtag, den Rat für sorbisch-wendische Angelegenheiten, haben sie erstmals in ihrer Historie in einer direkten Wahl bestimmt. Das neue Sorben/Wenden- Gesetz, das das Landesparlament in Potsdam im Vorjahr verabschiedet hat, bildete dafür die Grundlage.
Ein Novum ist von den Abgeordneten, denen der Sorbenrat als beratendes Gremium (wie auch in Sachsen) zur Seite steht, gleich mitbeschlossen worden: In der Potsdamer Staatskanzlei kümmert sich ein Sorbe um die Angelegenheiten der slawischen Minderheit, die sich von anderen in Deutschland lebenden Volksgruppen zumindest in einem Punkt völlig unterscheidet. Die Sorben haben kein Mutterland, das sie unterstützen könnte. Sie sind auf Deutschland auch finanziell angewiesen. Der Bund sowie die Länder Sachsen und Brandenburg zahlen jährlich einen Millionenbetrag in die Stiftung für das sorbische Volk. Die in Schleswig-Holstein lebende Volksgruppe der Dänen bekommt dagegen schnell mal Hilfe aus dem Mutterland. Mit den Stiftungsgeldern fördert die Domowina, der im Mai 1945 wiedergegründete Bund Lausitzer Sorben, den Erhalt von Sprache und Kultur, was vor allem von den sorbischen und wendischen Vereinen getragen wird. Sie finanziert das Sorbische Nationalensemble und das Deutsch-Sorbische Volkstheater in Bautzen.
Seit gut 1500 Jahren siedeln die Sorben in der Lausitz. Heute leben im Sächsischen – nahe der Grenze zu Polen – 40 000 Sorben, die Obersorbisch sprechen. Nördlich davon, in Richtung Berlin, haben im Brandenburgischen 20 000 Sorben, die auch Wenden genannt werden, mit ihrer niedersorbischen (wendischen) Sprache ihr Zuhause. Übrigens: Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) ist Sorbe und in der katholischen Gegend um Panschwitz-Kuckau zweisprachig aufgewachsen.
„Stirbt die Sprache, dann stirbt auch das Volk“– gegen diese Furcht mussten die Sorben in ihrer wechselvollen Geschichte immer wieder ankämpfen. Marcus Koinzer, der Sorbisch und Geschichte studiert hat und heute Vize- Geschäftsführer der Domowina ist, erinnert daran, dass die Dörfer rund um Cottbus vor 150 Jahren wendischsprachig waren. „Der Besitzer der Tuchfabrik war Deutscher, doch an den Webstühlen saßen Frauen in wendischen Trachten“, schildert der 27-Jährige. In den Tagebauen und Brikettfabriken habe sich das Sorbische auch widergespiegelt.
Doch mit der Reichsgründung 1871, so Koinzer, sei Sorbisch nicht mehr erwünscht gewesen. In der Weimarer Republik kam zum Beispiel eine gewisse Pauline Krautz aus Kolkwitz bei Cottbus ins Zuchthaus, weil sie Puppen eines wendischen Trachtenumzuges angekleidet hatte. Und während des Nationalsozialis- mus hingen im Siedlungsgebiet Schilder an den Schulen mit der Aufschrift: „Hier wird Deutsch gesprochen!“Und das, wo die große Mehrzahl der Schulanfänger in den Dörfern „kein Wort Deutsch gesprochen haben“, erklärt Koinzer.
Zu DDR-Zeiten brüstete sich die Staatsführung mit ihrer Minderheitenpolitik. Trotzdem durfte ab 1964 nicht mehr für Sorbischunterricht geworben wer- den. „Daraufhin ging die Schülerzahl von 12 800 auf 3400 zurück. Folklore war gewünscht, Sprachförderung nicht“, sagt der Historiker. Und erinnert zudem daran, dass es erst 1987/88 wieder einen wendischen Gottesdienst (nach dem Verbot 1941) gegeben habe. Für Koinzer ist diese Politik unerklärlich, und er fragt sich, warum es zu DDR-Zeiten keine Witaj-Kitas gegeben hat. Witaj – das heißt Willkommen. Und dieses Witaj ist heute auch bei deutschen Eltern im sorbischen Siedlungsgebiet zur Alltagssprache geworden. Denn in Witaj-Kindertagesstätten wird Deutsch und Sorbisch gesprochen. Immer mehr Eltern wollen, dass ihre Sprösslinge zweisprachig aufwachsen. Deshalb gibt es Wartelisten, es wird nach mehr muttersprachlichen Erziehern verlangt. Für Marcus Koinzer ist das 2001 gegründete Witaj-Sprachzentrum mit den Kitas in Sachsen und Brandenburg „der bedeutendste Schritt zur Förderung und zum Erhalt der sorbisch/ wendischen Sprache“.
Mit Witaj ist nach der politischen Wende 1989 ein Bindeglied im Zusammenleben von sorbischer und deutscher Bevölkerung in der Ober- und Niederlausitz hinzugekommen. Das Sprachprojekt ergänzt Sorbengesetze in Sachsen und Brandenburg. Sorbenräte bei den Landtagen. In Brandenburg reicht es heute aus, sich zum Sorbentum zu bekennen, um selbst Sorbe zu sein.
Die Minderheit ist Jahr für Jahr vor allem durch ihre gelebten Sitten und Bräuche Anziehungspunkt für viele Touristen in der Region. Da wird die Vogelhochzeit begangen und der Zapust – die wendische Fastnacht – als großer Umzug auf den Dörfern gefeiert.
Das Osterreiten gehört ebenso wie das Ankleiden des Bescherkindes zur Vorweihnachtszeit dazu. Und zum Erntedank fiebern beim traditionellen Hahnrupfen viele Schaulustige im Reiterwettstreit der Jugend um den Titel des Krals (des Königs) mit.
Welchen Stellenwert die Bräuche der slawischen Minderheit ohne Mutterland besitzen, drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass die Unesco im kommenden Jahr über die Aufnahme sorbischer Bräuche ins immaterielle Weltkulturerbe entscheiden will.