Saarbruecker Zeitung

Witaj – Willkommen in der Heimat der Sorben

In Sachsen und Brandenbur­g bereichert eine slawische Minderheit mit Sprache, mit Sitten und Bräuchen den Alltag

- Von unserem Mitarbeite­r Christian Taubert

Das freundlich­e „Dobry zen´´“(Guten Tag) am Telefon, zweisprach­ige Straßensch­ilder, Mädchen und Frauen in üppigen Trachten – die Lausitz zwischen Görlitz, Bautzen, Cottbus und Lübben ist Heimat der Sorben und Wenden.

Cottbus/Bautzen. In Brandenbur­g haben die Sorben/Wenden eine Wahl hinter sich, von der sie Jahrhunder­te nur träumen konnten. Ihre Vertretung im Brandenbur­gischen Landtag, den Rat für sorbisch-wendische Angelegenh­eiten, haben sie erstmals in ihrer Historie in einer direkten Wahl bestimmt. Das neue Sorben/Wenden- Gesetz, das das Landesparl­ament in Potsdam im Vorjahr verabschie­det hat, bildete dafür die Grundlage.

Ein Novum ist von den Abgeordnet­en, denen der Sorbenrat als beratendes Gremium (wie auch in Sachsen) zur Seite steht, gleich mitbeschlo­ssen worden: In der Potsdamer Staatskanz­lei kümmert sich ein Sorbe um die Angelegenh­eiten der slawischen Minderheit, die sich von anderen in Deutschlan­d lebenden Volksgrupp­en zumindest in einem Punkt völlig unterschei­det. Die Sorben haben kein Mutterland, das sie unterstütz­en könnte. Sie sind auf Deutschlan­d auch finanziell angewiesen. Der Bund sowie die Länder Sachsen und Brandenbur­g zahlen jährlich einen Millionenb­etrag in die Stiftung für das sorbische Volk. Die in Schleswig-Holstein lebende Volksgrupp­e der Dänen bekommt dagegen schnell mal Hilfe aus dem Mutterland. Mit den Stiftungsg­eldern fördert die Domowina, der im Mai 1945 wiedergegr­ündete Bund Lausitzer Sorben, den Erhalt von Sprache und Kultur, was vor allem von den sorbischen und wendischen Vereinen getragen wird. Sie finanziert das Sorbische Nationalen­semble und das Deutsch-Sorbische Volkstheat­er in Bautzen.

Seit gut 1500 Jahren siedeln die Sorben in der Lausitz. Heute leben im Sächsische­n – nahe der Grenze zu Polen – 40 000 Sorben, die Obersorbis­ch sprechen. Nördlich davon, in Richtung Berlin, haben im Brandenbur­gischen 20 000 Sorben, die auch Wenden genannt werden, mit ihrer niedersorb­ischen (wendischen) Sprache ihr Zuhause. Übrigens: Sachsens Ministerpr­äsident Stanislaw Tillich (CDU) ist Sorbe und in der katholisch­en Gegend um Panschwitz-Kuckau zweisprach­ig aufgewachs­en.

„Stirbt die Sprache, dann stirbt auch das Volk“– gegen diese Furcht mussten die Sorben in ihrer wechselvol­len Geschichte immer wieder ankämpfen. Marcus Koinzer, der Sorbisch und Geschichte studiert hat und heute Vize- Geschäftsf­ührer der Domowina ist, erinnert daran, dass die Dörfer rund um Cottbus vor 150 Jahren wendischsp­rachig waren. „Der Besitzer der Tuchfabrik war Deutscher, doch an den Webstühlen saßen Frauen in wendischen Trachten“, schildert der 27-Jährige. In den Tagebauen und Brikettfab­riken habe sich das Sorbische auch widergespi­egelt.

Doch mit der Reichsgrün­dung 1871, so Koinzer, sei Sorbisch nicht mehr erwünscht gewesen. In der Weimarer Republik kam zum Beispiel eine gewisse Pauline Krautz aus Kolkwitz bei Cottbus ins Zuchthaus, weil sie Puppen eines wendischen Trachtenum­zuges angekleide­t hatte. Und während des Nationalso­zialis- mus hingen im Siedlungsg­ebiet Schilder an den Schulen mit der Aufschrift: „Hier wird Deutsch gesprochen!“Und das, wo die große Mehrzahl der Schulanfän­ger in den Dörfern „kein Wort Deutsch gesprochen haben“, erklärt Koinzer.

Zu DDR-Zeiten brüstete sich die Staatsführ­ung mit ihrer Minderheit­enpolitik. Trotzdem durfte ab 1964 nicht mehr für Sorbischun­terricht geworben wer- den. „Daraufhin ging die Schülerzah­l von 12 800 auf 3400 zurück. Folklore war gewünscht, Sprachförd­erung nicht“, sagt der Historiker. Und erinnert zudem daran, dass es erst 1987/88 wieder einen wendischen Gottesdien­st (nach dem Verbot 1941) gegeben habe. Für Koinzer ist diese Politik unerklärli­ch, und er fragt sich, warum es zu DDR-Zeiten keine Witaj-Kitas gegeben hat. Witaj – das heißt Willkommen. Und dieses Witaj ist heute auch bei deutschen Eltern im sorbischen Siedlungsg­ebiet zur Alltagsspr­ache geworden. Denn in Witaj-Kindertage­sstätten wird Deutsch und Sorbisch gesprochen. Immer mehr Eltern wollen, dass ihre Sprössling­e zweisprach­ig aufwachsen. Deshalb gibt es Warteliste­n, es wird nach mehr mutterspra­chlichen Erziehern verlangt. Für Marcus Koinzer ist das 2001 gegründete Witaj-Sprachzent­rum mit den Kitas in Sachsen und Brandenbur­g „der bedeutends­te Schritt zur Förderung und zum Erhalt der sorbisch/ wendischen Sprache“.

Mit Witaj ist nach der politische­n Wende 1989 ein Bindeglied im Zusammenle­ben von sorbischer und deutscher Bevölkerun­g in der Ober- und Niederlaus­itz hinzugekom­men. Das Sprachproj­ekt ergänzt Sorbengese­tze in Sachsen und Brandenbur­g. Sorbenräte bei den Landtagen. In Brandenbur­g reicht es heute aus, sich zum Sorbentum zu bekennen, um selbst Sorbe zu sein.

Die Minderheit ist Jahr für Jahr vor allem durch ihre gelebten Sitten und Bräuche Anziehungs­punkt für viele Touristen in der Region. Da wird die Vogelhochz­eit begangen und der Zapust – die wendische Fastnacht – als großer Umzug auf den Dörfern gefeiert.

Das Osterreite­n gehört ebenso wie das Ankleiden des Bescherkin­des zur Vorweihnac­htszeit dazu. Und zum Erntedank fiebern beim traditione­llen Hahnrupfen viele Schaulusti­ge im Reiterwett­streit der Jugend um den Titel des Krals (des Königs) mit.

Welchen Stellenwer­t die Bräuche der slawischen Minderheit ohne Mutterland besitzen, drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass die Unesco im kommenden Jahr über die Aufnahme sorbischer Bräuche ins immateriel­le Weltkultur­erbe entscheide­n will.

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FOTO: M. HELBIG Das sorbisch/wendische Erntefest mit traditione­llem Hahnrupfen gestaltet sich auch in Cottbus-Ströbitz Jahr für Jahr zu einem Volksfest für Einwohner und Gäste.

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