Empörung über Krawalle vor Asylheim in Sachsen
Ruf nach harten Strafen – Grüne fordern Eingreifen der Kanzlerin
Rechtsextreme und Einwohner lassen ihrem Ausländerhass freien Lauf: Die anhaltenden Krawalle vor einem sächsischen Flüchtlingsheim haben die Politik aufgeschreckt. Zugleich verschärft sich der Streit zwischen Berlin und Brüssel über den Umgang mit Zuwanderern.
Heidenau/Berlin. Im sächsischen Heidenau haben Rechtsradikale und Rassisten zwei Nächte in Folge vor einer Notunterkunft für Flüchtlinge randaliert und Polizisten angegriffen. Insgesamt wurden mehr als 30 Beamte verletzt, wie eine Polizeisprecherin gestern berichtete. An den Krawallen vor der Notunterkunft beteiligten sich auch Einwohner der Stadt. Die Randalierer bewarfen die Polizei mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern. Die Beamten setzten ihrerseits Tränengas und Pfefferspray ein, um eine Straßenblockade zu räumen. Auch gestern Abend kam es zu gewalttätigen Szenen in Heidenau. Angehörige der linken AntifaSzene griffen eine Gruppe von Menschen an, die sie offensichtlich dem rechten Spektrum zuordneten.
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sagte angesichts der gegen Flüchtlinge gerichteten Krawalle, hier verstoße eine Minderheit „brutal gegen Werte und Gesetze Deutschlands“. Vizekanzler Sigmar Gabriel, Justizminister Heiko Maas ( beide SPD) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) forderten, Polizei und Justiz müssten mit aller Härte gegen rechtsradikale Gewalttäter vorgehen. Gabriel will heute die Heidenauer Flüchtlingsunterkunft besuchen. Er wäre das erste Mitglied der Bundesregierung, das sich vor Ort ein Bild macht. Die Grünen verlangen nun ein Machtwort der Kanzlerin. „Die Zögerlichkeit von Angela Merkel, hier die richtigen Worte zu finden, kann ich nicht mehr verstehen“, sagte die Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt. Sie warnte vor „einem neuen rechten Terrorismus à la NSU“.
Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier forderten eine neue, einheitliche Asylpolitik der Europäischen Union. Nötig sei eine „faire Verteilung von Flüchtlingen in Europa“. In der ARD bezeichnete Gabriel den Umgang mit den Zuwanderern als „Riesenschande“. Zuvor hatte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) die EU-Kommission angesichts rapide steigender Flüchtlingszahlen der Untätigkeit bezichtigt.
Die Vielzahl der Flüchtlinge überwältigt Deutschlands Behörden. Doch die Verwaltungskrise ist in Teilen hausgemacht: Viele Ämter arbeiten ineffizient.
München/Berlin. Deutschlandweit ächzen die Behörden unter der Rekordzahl von Flüchtlingen: In diesem Jahr könnten bis zu 800 000 Menschen nach Deutschland kommen. Der Verwaltungsaufwand ist so hoch, dass mehrere Bundesländer nun pensionierte Beamte reaktivieren wollen, um die Amtsstuben arbeitsfähig zu halten. Doch die Behörden leiden unter der eigenen Ineffizienz. Ein wesentlicher Grund der Überlastung: unterschiedliche Zuständigkeiten und fehlende Schnittstellen der Computersysteme. Das führt dazu, dass die persönlichen Daten der Asylbewerber doppelt bis vierfach erfasst werden müssen – jedes Mal von Hand. „Aktuell benutzen die verschiedenen Behörden unterschiedliche IT-Systeme, die auf eine automatisierte Datenübernahme nicht vorbereitet sind“, sagt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums.
Doch handelt es sich keineswegs nur um ein Computerproblem. Die überlastete Bundespolizei und die Staatsanwaltschaften sind alljährlich mit Zehntausenden Verfahren wegen unerlaubter Einreise beschäftigt – Aktenproduktion für den Papierkorb. Allein in Bayern hat die Bundespolizei im ersten Halbjahr gut 32 000 Menschen ohne gültige Einreisepapiere aufgegriffen, berichtet Thomas Borowik, Sprecher der Bundespolizeidirektion München. Illegale Einreise ist ein sogenanntes Offizialdelikt und muss daher verfolgt werden. Doch Flüchtlinge stehen unter dem Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention, wie der Rechtsanwalt Hubert Heinhold erläutert, Vizevorsitzender von Pro Asyl. Deswegen ist unerlaubter Grenzübertritt bei Flüchtlingen ein geringfügiges Vergehen. Die Folge: Die Bundespolizei leitet eine Vielzahl von Fällen an die Staatsanwaltschaft weiter, die den allergrößten Teil umstandslos zu den Akten legt. „Im Regelfall stellen die Staatsanwaltschaften ein“, sagt Heinhold dazu.
250 000 unbearbeitete Anträge
Bei der Bundespolizei wird aber auch ein für die Flüchtlinge sehr wichtiges Dokument ausgefüllt: die „Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender“, in Fachkreisen als „Büma“bekannt. Die Bundespolizisten schicken die Asylbewerber mit ausgedruckter Büma an die Landesbehörden weiter, die für die Unterbringung der Flüchtlinge zuständig sind. Deren Mitarbeiter geben die Daten erneut in ihr Computersystem ein – per Hand. Für die rund zwei Drittel der Flüchtlinge, die nicht von der Bundespolizei aufgegriffen werden, sind die Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder erste Anlaufstelle. Dann wird die Büma dort ausgefüllt.
Für das eigentliche Asylverfahren aber sind nicht die Länder, sondern das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuständig. Dort wartet ein Stapel von 250 000 Asylanträgen auf Erledigung. Und auch im Bundesamt müssen die Daten händisch eingegeben werden. Dem Bundesinnenministerium ist bewusst, dass Verbesserungsbedarf besteht. Aktuell sei eine Machbarkeitsstudie in Arbeit, heißt es. Neben der Übernahme von Antragsdaten solle „die Optimierung der Kommunikation im behördenübergreifenden Gesamtprozess Asyl betrachtet werden“. dpa