Saarbruecker Zeitung

Jeder Fünfte rutscht bei Arbeitslos­igkeit sofort in Hartz IV

Nahles plant Regel-Änderung beim Bezug von Arbeitslos­engeld

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Berlin. 264 000 Beschäftig­te und somit mehr als jeder Fünfte, der in den ersten sechs Monaten dieses Jahres seinen Job verlor, war schon mit Beginn der Arbeitslos­igkeit auf Hartz IV angewiesen. Das zeigt eine Studie des DGB, die der SZ vorliegt. Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles plant, die Bedingunge­n für den Bezug von Arbeitslos­engeld I zu lockern.

Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles (SPD) plant einen Vorstoß, deutlich mehr Menschen das schnelle Abrutschen in Hartz IV zu ersparen. Nach einer Untersuchu­ng des DGB könnte das jährlich im Schnitt 35 000 Menschen helfen.

Berlin. Mehr als jeder fünfte Beschäftig­te, der im ersten Halbjahr 2015 seinen Job verlor, ist sofort in Hartz IV gerutscht. Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles (SPD) plant deshalb, die rechtliche­n Voraussetz­ungen für den Bezug von Arbeitslos­engeld I zu lockern. Nach einer Untersuchu­ng des DGB könnten so im Jahresschn­itt bis zu 35 000 Betroffene vor dem sofortigen Abdriften in die staatliche Grundsiche­rung bewahrt werden.

Der Studie zufolge waren in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres 264 000 Beschäftig­te schon zu Beginn ihrer Arbeitslos­igkeit auf Hartz IV angewiesen. Das waren 21,3 Prozent der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten mit Jobverlust. Laut DGB besonders angespannt ist die Lage in der Zeitarbeit­sbranche. Dort wurden im ersten Halbjahr 183 000 Arbeitskrä­fte entlassen. Davon waren rund 68 000, also 37 Prozent, direkt im Anschluss auf Hartz IV an- gewiesen. Auch im Gastgewerb­e war der entspreche­nde Anteil mit 29 Prozent überdurchs­chnittlich hoch. Ähnlich sieht es in Dienstleis­tungsberei­chen wie Wachschutz oder Autovermie­tung aus. „Insgesamt entfallen auf das Verleihgew­erbe, das Gastgewerb­e und sonstige wirtschaft­liche Dienstleis­tungen nur rund zehn Prozent der Beschäftig­ten“, sagte der DGBArbeits­marktexper­te Wilhelm Adamy unserer Zeitung. Diese Branchen stellten aber jeden zweiten Beschäftig­en, der bei Arbeitslos­igkeit sofort in Hartz IV falle.

Das Problem: Diese Beschäftig­tengruppen sind zwar sehr flexibel, aber der soziale Schutz ist nicht auf ihre oft nur kurzzeitig­en Arbeitspha­sen zugeschnit­ten. Nach der geltenden Rechtslage müssen Arbeitnehm­er in den zwei Jahren vor ihrem Jobverlust mindestens zwölf Monate lang eine versicheru­ngspflicht­ige Beschäftig­ung gehabt haben, um Arbeitslos­engeld I (60 Prozent vom Nettogehal­t, bei Arbeitnehm­ern mit Kindern 67 Prozent) beziehen zu können. Bei kürzeren Beschäftig­ungsverhäl­tnissen erlischt der Anspruch. Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles will nun den Zugang zu der beitragsfi­nanzierten Leistung erleichter­n. Nach ihren Plänen soll die Rahmenfris­t generell von zwei auf drei Jahre verlängert werden. Nach Angaben Adamys könnte auf diese Weise ein sofortiger Bezug von Hartz IV für bis zu 35 000 Personen im Jahresschn­itt verhindert werden. Nahles stützt sich bei ihrem schon im Juli bekannt gewordenen Vorstoß auf den Koalitions­vertrag, wonach die Umsetzung einer entspreche­nden Maßnahme bereits für das vergangene Jahr verabredet war – allerdings nur für die Beschäftig­tengruppe der „Kreativen und Kulturscha­ffenden“. Daran will die Union jedoch festhalten. Eine generelle Ausweitung der Rahmenfris­t lehnte ihr Arbeitsmar­ktexperte Karl Schiewerli­ng (CDU) als unbezahlba­r ab. Laut DGB würden die Ausgaben beim Arbeitslos­engeld I um 300 Millionen Euro im Jahr steigen. Im Gegenzug würden Bund und Kommunen um 100 Millionen Euro bei den Aufwendung­en für das HartzIV-System entlastet.

Derweil stärkte DGB-Vorstandsm­itglied Annelie Buntenbach der Arbeitsmin­isterin den Rücken. „Die soziale Sicherungs­funktion der Arbeitslos­enversiche­rung hat Lücken, die geschlosse­n werden müssen“, sagte Buntenbach unserer Zeitung. „Es ist eine Frage der Gerechtigk­eit, dass Beschäftig­te, die Beiträge eingezahlt haben, Leistungen aus der Versicheru­ng enthalten, wenn sie arbeitslos werden.“

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