Saarbruecker Zeitung

Bier, Steine, Tränengas

Randale in Heidenau – Flüchtling­e werden ohne geringste Scham als „Schweine“und „Viehzeug“beschimpft

- Von Jörg Schurig und Ralf Hübner (dpa)

Der rechte Mob zeigt in Heidenau offen seinen Ausländerh­ass – und mit ihm viele Bürger. Als am Freitagabe­nd die ersten Flüchtling­e in einem früheren Baumarkt in der Kleinstadt bei Dresden Quartier beziehen wollen, versammeln sich Hunderte Menschen auf den Straßen zum Protest. Es kommt zu Gewalt. Böller, Flaschen und Steine fliegen auf Polizisten. Diese setzen Tränengas ein, 31 von ihnen werden verletzt. Heidenau ist im Ausnahmezu­stand.

Zuvor laufen in dem rund 1000köpfig­en Demonstrat­ionszug durch die Stadt neben erkennbar Rechten auch scheinbar normale Bürger mit, darunter Frauen mit Kinderwage­n und Kinder. Eine Frau schwenkt die schwarz-weißrote Flagge des untergegan­genen Deutschen Kaiserreic­hs. Zwei andere bekunden auf einem großen Transparen­t, dass sie auf Asylbe- werber hier bestens verzichten können. So empfängt Heidenau Menschen, die vor Krieg und Not aus ihrer Heimat flohen. 24 Stunden später wiederholt sich die Szenerie. Doch während am Freitag ein NPD-Mann zu dem anfangs friedlich verlaufend­en Marsch aufrief, sind die Rechten nun spontan erschienen. Sie lungern an einem Supermarkt in Sichtweite des Baumarktes herum und stimmen sich mit reichlich Bier auf den Abend ein. Ein paar Heidenauer, aber bei weitem nicht so viele Schaulusti­ge wie am Abend zuvor, schauen zu. Strikt werden die rund 100 Rechten von jenen getrennt, die am Samstag Solidaritä­t mit Flüchtling­en zeigen. Eine Gruppe von etwa 150 Menschen, darunter Politiker von Grünen, SPD und Linken, nimmt auch Kontakt zu den Asylsuchen­den auf. Einige kommen auf die andere Straßensei­te und berichten von ihrem Schicksal.

Heidenau hat nur etwa 16 000 Einwohner und liegt ein paar Kilometer elbaufwärt­s von Dresden. Die neue Flüchtling­sunterkunf­t für bis zu 600 Menschen liegt an der Bundesstra­ße 172 Richtung Pirna, schon etwas außerhalb und keineswegs in direkter Nähe zu einem Wohngebiet. Eigentlich dürfte sie keinen stören. Dennoch dominieren die Flüchtling­e seit

Tagen das Ortsgesprä­ch.

Das ganze Ausmaß des Fremdenhas­ses zeigt sich in den Gesprächen oder in dem, was ungehemmt im Sprechchor skandiert wird – zum Beispiel am Freitagabe­nd. Da werden Flüchtling­e als „Schweine“und „Viehzeug“beschimpft, da werden völlig aus der Luft gegriffene Bedrohungs­sze- narien an die Wand gemalt. „Eure Frauen werden alle vergewalti­gt, ihr könnt sie nicht mehr schützen“, ruft eine Frau mittleren Alters beschwören­d einer Gruppe junger Männer zu.

Die Männer beobachten – Bierflasch­e in der Hand – das Geschehen in der Flüchtling­sunterkunf­t von der gegenüberl­iegenden Straßensei­te aus. Jugendlich­e singen leise vor sich hin: „Die Reihen fest geschlosse­n“– eine Verszeile des verbotenen Horst-Wessel-Liedes der Nazis. Es fließt Alkohol, sehr viel Alkohol. Einige vertreiben sich Zeit mit diversen Verschwöru­ngstheorie­n. Andere artikulier­en ohne die geringste Hemmung oder Scham immer wieder, was sie von Asylbewerb­ern halten. Als viele Anwohner am Freitag in der Nacht nach und nach abwandern, bleibt der rechte Mob noch eine Weile unter sich. Dann löst sich der Spuk auf.

Im früheren Baumarkt, der zum Schutz der Flüchtling­e umzäunt ist, bleibt das Geschehen am Samstag nicht unbemerkt. Immer wieder kommen Asylbewerb­er heraus und schauen bisweilen verängstig­t auf das, was sich dort tut. Sakah ist 28 Jahre alt und stammt aus Kabul. Er kam allein. Drei Monate lang sei er unterwegs gewesen, meist zu Fuß, sagt der Afghane und zeigt nach unten. Seine Füße stecken in Sandalen und haben viele kleine Wunden.

Seine Fluchtrout­e über den Iran, Irak, die Türkei und Bulgarien bis nach Serbien kann er präzise beschreibe­n. Von Belgrad aus ging es mit dem Bus nach Deutschlan­d. Sakah spricht im Unterschie­d zu dem meisten seiner Schicksals­gefährten schon ganz gut Englisch. Jetzt will er Deutsch lernen und am liebsten hier auch studieren. „Es gibt in Afghanista­n keine Chance für mich“, sagt der junge Mann.

Die Argumente der Protestier­er kann er nicht recht verstehen. „Vielleicht wissen sie nicht, wie es in unseren Ländern aussieht. Und wir wissen nicht, was wir tun sollen. Zurück können wir nicht“, sagt Sakah.

„Vielleicht wissen sie nicht, wie es in unseren Ländern

aussieht.“ Asylbewerb­er Sakah

aus Kabul

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FOTO: IMAGO Tränengasr­auchwolken vor einem Baumarkt in der Nähe eines Flüchtling­sheims in Heidenau: Mehr als 30 Polizisten wurden von dem wütenden Mob verletzt.

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