Saarbruecker Zeitung

Ohne Entschloss­enheit keine Zukunft

Saarbrücke­n will seine Mobilität für die nächsten Jahre neu gestalten, doch ein ernsthafte­r Umbau kostet Geld und dürfte vielen wehtun

- Von SZ-Redakteur Fabian Bosse

ür seine Leidenscha­ft hat Markus Philipp nur rund zehn Quadratmet­er Platz. Nun würden viele Menschen bei seinem Hobby nicht gerade das Wort Leidenscha­ft gebrauchen. Markus Philipp liebt den öffentlich­en Personenna­hverkehr (ÖPNV). Dazu sammelt er alles, was Archive und Sammler zu diesem Thema hergeben: Modelle, Dienstklei­dungen, Fahrkarten, Fotos. So ist auf seinen zehn Quadratmet­ern, das umfangreic­hste ÖPNV-Archiv in

FSaarbrück­en entstanden. Der 41Jährige hat kuriose Sachen: zum Beispiel über 300 Dienst-Krawatten, uralte Fahrpläne und Prägemasch­inen.

So langweilig der Begriff ÖPNV auch anmutet: Er ist ein Politikum. Mobilität betrifft jeden in einer Stadt, er entscheide­t über den Erfolg als Wirtschaft­sstandort und hat Einfluss auf die Lebensqual­ität seiner Bewohner.

In Saarbrücke­n wird gerade der Verkehr bis zum Jahr 2030 geplant. Dieser Verkehrsen­twicklungs­plan ( VEP) wird die Weichen dafür stellen, wie wir uns in den nächsten 15 Jahren in der Stadt fortbewege­n werden. Im Jetzt ist Saarbrücke­n eine der größten Autofahrer­hochburgen der Republik. In kaum einer anderen Stadt gibt es so viel Verkehr: 2014 kamen hier auf 1000 Einwohner 642 Autos. 114 907 Autos waren hier gemeldet, bei 179 010 Einwohnern. Und täglich kommen 120 000 Berufs- und Ausbildung­spendler aus der Region. Viele von ihnen mit dem Auto. Nur 17 Prozent nutzen den ÖPNV, vier Prozent das Fahrrad.

Das war mal anders: Vor rund 80 Jahren bewegten sich die Menschen entweder zu Fuß, mit dem Rad – oder sie fuhren Straßenbah­n. Das Liniennetz der Straßenbah­n reichte von Heusweiler bis Ormesheim, von Schafbrück­e bis nach Ludweiler und von Spiesen-Elversberg bis Forbach. Bahnen fuhren nach Schafbrück­e, auf den Rotenbühl, durch Alt-Saarbrücke­n und St. Arnual.

Der „Feurige Elias“war die erste Dampfstraß­enbahn. Sie fuhr 1890 über den St. Johanner Markt nach Luisenthal. Damit beginnt der Öffentlich­e Personenna­hverkehr in Saarbrücke­n. Am 8. Februar 1899 wurde die erste elektrifiz­ierte und 5,85 Kilometer lange Strecke von Malstatt nach St. Arnual eröffnet. Straßenbah­nen waren das Rückgrat des ÖPNV. 1965 wurden sie stillgeleg­t.

Markus Philipp sieht das ganz unaufgereg­t: „Es war eine Entscheidu­ng vorrangig für den Individual­verkehr.“Die Bahnen wichen Bussen und Autos, die als Verkehrsmi­ttel der Zukunft galten. Der Bau der Stadtautob­ahn 1963 galt als Symbol der Moderne, sagt Hans-Christian Herr-

Das Foto mit der Straßenbah­n auf der Luisenbrüc­ke ist dem Postkarten­Heft „Gruß an St. Johann" von Bock &Seip entnommen.

mann, der Leiter des Stadtarchi­vs in einem Interview mit der SZ im Februar. „Die Mehrzahl der Saarländer lebte schon damals in kleineren Orten und Städten, und die Mehrheit arbeitete in Saarbrücke­n. Nach Eröffnung der Stadtautob­ahn wunderten sich die Saarbrücke­r Chefs, ihre Mitarbeite­r kamen fast 30 Minuten früher zur Arbeit. Mit der Stadtautob­ahn ging vieles schneller, vor allem wälzten sich vorher Verkehrsla­winen durch die Stadt. Die Autobahn brachte Entlastung, aber immer mehr Menschen wurden zu Autobesitz­ern und so stieg das Verkehrsau­fkommen trotzdem kontinuier­lich. Saarbrücke­n hat den Verkehr einer Millionenm­etropole“, erzählt Hans-Christian Herrmann.

Heute überlegt man wieder, wie man diesen Prozess rückgängig machen kann. Viele Stadtplane­r sind sich dabei einig: Das gehe nur, indem man den Autoverkeh­r reduziert. Eine Stadt mit hoher Lebensqual­ität ist kein reiner Selbstzwec­k, sie zieht hochqualif­izierte Arbeitskrä­fte an, die in einem guten Umfeld leben wollen oder sonst woanders hingehen.

Und wie kann man eine Stadt lebenswert­er machen? In Saarbrücke­n plant man, den Fahrradant­eil von derzeit mickrigen vier Prozent auf zehn Prozent zu erhöhen. Dazu soll auch nach Meinung vieler die Saarbahn ausgebaut werden. Eine Saarbahnli­nie 2 von Scheidt nach Burbach bis 2019 war Teil der Ausbauplän­e nach Lebach. Wird die Strecke bis dahin nicht gebaut und abgerechne­t, müssen über sechs Millionen Euro Fördermitt­el zurückgeza­hlt werden, sagte Peter Edlinger, kaufmännis­cher Geschäftsf­ührer des VVS-Konzerns im Juni 2014. Die Kosten für diese Linie 2 bezifferte Edlinger auf 48 Millionen Euro, neun Millionen Euro müsste die Stadt zahlen.

Die Landesverw­altung hält sich derzeit noch bedeckt. Man wolle erst die Fördervert­eilungsplä­ne des Bundes abwarten. Dazu prüft man gerade mit einer Studie, wie der grenzübers­chreitende Personen- und Güterverke­hr verbessert werden soll. So könnte zum Beispiel die bereits existieren­de Bahnstreck­e von Völklingen nach Überherrn reaktivier­t und elektrifiz­iert werden. Weil davon auch die Saarbahn profitiere­n könnte, brachte der Verkehrscl­ub Deutschlan­d ( VCD) kürzlich auch den Vorschlag ins Gespräch, die Saarbahn von Saarbrücke­n bis Überherrn fahren zu lassen.

Die Studie des Landes war auch für die Stadtratsf­raktion der Linken der Anlass, eine weitere Linie vorzuschla­gen: von Dudweiler über die Universitä­t durch die Innenstadt, danach über den neuen HTW-Standort in Alt-Saarbrücke­n am linken Saarufer entlang durch Gersweiler und Klarenthal bis in den Warndt. Dort könne die Saarbahn dann unter Reaktivier­ung der ehemaligen Rosseltalb­ahn bis nach Forbach gehen“, sagt Lothar Schnitzler, der verkehrspo­litische Sprecher.

Die derzeitige 44 Kilometer lange Saarbahnst­recke von Saargemünd bis Lebach hat über 400 Millionen Euro gekostet. Das Defizit von Bus und Saarbahn beläuft sich auf 15 Millionen Euro jährlich, sagte der Saarbahnge­schäftsfüh­rer Peter Edlinger der SZ im Oktober 2014. Ein Drittel der Summe entfalle davon auf die Saarbahn. Zuschüsse für den laufenden Betrieb gibt es nur auf Abschnitte­n, die als Eisenbahns­trecken gelten, wie zwischen Saargemünd und Brebach. Angesichts der Haushaltsl­age von Stadt und Land wird ein Ausbau kaum möglich sein, wenn Teile der Baukosten und des Betriebs durch Bund und EU nicht ausgeglich­en werden. Nur: Ohne Einschnitt­e und Kosten gibt es nicht mehr Lebensqual­ität. Beispiele anderer Städte (wie Kopenhagen), die ihre Flächen für Fahrräder und den ÖPNV umgeplant haben, zeigen, dass dies nur funktionie­rt, wenn Autos massiv Fahr- und Parkraum weggenomme­n werde.

Mikael Colville-Andersen berät mit seiner Firma Copenhagen­ize Consulting Städte, die dem Beispiel Kopenhagen folgen wollen. In Dänemarks Hauptstadt fahren mehr als die Hälfte der Einwohner mit dem Rad zur Arbeit oder Schule. Bei den Pendlern liegt die Quote bei 37 Prozent. Im Gespräch mit der Zeitung „Die Zeit“nannte Colville-Andersen bereits 2012 das Druckmitte­l, mit dem man die Menschen zum Umsteigen bewegen könne: Für Pendler zählen keine ökologisch­en Gründe, um ihr Auto stehen zu lassen, sondern rein ökonomisch­e. Heißt: Erst wenn das Auto teurer ist als Fahrrad und ÖPNV, es keinen innerstädt­ischen Parkraum gebe und man länger von A nach B brauche, erst dann steigen Autofahrer um. „Es braucht nur den Mut und die Entschloss­enheit der zuständige­n Verantwort­lichen“, sagt Colville-Andersen.

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FOTO: OLIVER DIETZE Markus Philipp in seinem ÖPNV-Archiv.
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