Kugel-Kaiserin von China
Schwanitz holt WM-Gold – Storl knapp geschlagen
Christina Schwanitz kullerten die Freudentränen über das Gesicht. Die neue Kugel-Kaiserin genoss ihre emotionale Siegerehrung in vollen Zügen – und will die Nationalhymne jetzt unbedingt auch bei Olympia wieder hören. Nach dem Gold-Coup von Peking laufen die Planungen für den Titel-Hattrick längst auf Hochtouren: „Ein Sieg in Rio – besser ginge es nicht.“
Schon bei ihrem geliebten Sieger-Bierchen freute sich die 29Jährige auf den Urlaub, doch auch beim Gedanken an die wohlverdiente Auszeit mit ihrem Mann Tomas hatte sie Olympia längst im Hinterkopf. Schwanitz will im Top-Bereich um ihre Bestleistung von 20,77 Metern noch konstanter stoßen. „Dann ist für Rio die Ausgangssituation noch mal eine bessere“, sagte Schwanitz, die ihre Serie nach EM-Titel 2014 und WM- Gold 2015 am Zuckerhut krönen will.
Schon jetzt scheint Schwanitz nahezu unschlagbar zu sein, weil sie endlich ihr flatterndes Nervenkostüm im Griff hat. Die Sportpsychologin Grit Reimann legte bei ihr einen Schalter um. „Sie hat mir ein Problem aus dem Kopf genommen, seitdem kann ich in starken wie in schwachen Momenten meine Leistung abrufen“, sagte Schwanitz: „Vor zwei, drei Jahren hätte ich so einen Nervenkrieg nicht gewonnen.“
Und so konnte die 29-Jährige vom LV Erzgebirge in Peking kontern. Ihre Rivalin Gong Lijiao aus China hatte im ersten Versuch 20,30 Meter vorgelegt, doch Schwanitz zeigte sich unbeeindruckt. Sie genoss die Drucksituation sogar. „Es fällt mir leichter zu sagen: , Ätschibätsch, ich bin auch noch da’“, sagte Schwanitz, die sich im dritten Versuch mit 20,37 Meter zur Kugel-Kaiserin von China krönte: „Das war reine Psychologie. Ich wusste, das ist die halbe Miete, denn Lijiao ist nicht besonders nervenstark. Die war ja so was von verkrampft.“Bronze holte Michelle Carter aus den USA (19,76).
16 Jahre nach dem letzten von drei Titeln durch Astrid Kumbernuss kürte sich Schwanitz als erst zweite Deutsche zur Weltmeisterin im Kugelstoßen. Den bisher größten Triumph in ihrer Karriere feierte die Sportsoldatin mit der Deutschlandfahne über den starken Schultern, Tränen in den Augen und ein paar Bier. Mit WM- Gold veredelte Schwanitz ihre bisherige Karriere – dabei schien ihre Laufbahn im Vorjahr fast beendet. Eine PatellasehnenOperation verlief „suboptimal“, sagte sie. Das linke Knie schwoll nach dem Eingriff immer wieder an. „Ich hatte Angst, dass ich nie mehr stoßen kann. Da gehst du als Leistungssportler durch die Hölle“, sagte Schwanitz.
Erst eine Behandlung mit einer radioaktiven Flüssigkeit brachte Besserung. Das in einem Reaktor hergestellte Mittel wurde Schwanitz ins Knie gespritzt und soll Entzündungen entgegenwirken. „Aber das ist nur wenig, ich bin nicht Tschernobyl“, sagte sie.
Titelverteidiger David Storl verpasste dann gestern nur knapp, es Schwanitz gleichzumachen, und wurde Vize-Weltmeister. „Ich bin froh, dass ich die 21,74 Meter noch stoßen konnte. Es hätte auch ganz anders ausgehen können“, sagte der 25-jährige Chemnitzer mit einer Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung. Beinahe wäre er sogar ohne Medaille geblieben. Nicht nur der frühere American-Football-Spieler Joe Kovacs (USA), dem im fünften Versuch die Siegerweite von 21,93 Meter gelang, machte dem Weltmeister von 2011 und 2013 das Leben schwer, sondern auch O’Dayne Richards (Jamaika), der am Ende mit 21,69 Meter Dritter wurde, und der Neuseeländer Thomas Walsh. „Es war ein verkrampfter Wettkampf, der an mir vorbeigelaufen ist“, bekannte Storl. „Ich bin nicht reingekommen und habe auf dem Weg ins Stadion irgendwie meine Linie verloren.“
Gold für Schwanitz, Silber für Storl – das zeigte aber einmal mehr, dass auf die deutschen Kugelstoßer Verlass ist. Großen Anteil am Sieg hat Sven Lang, der beide trainiert. „Er ist einer der wenigen Trainer, der es schafft, Männlein und Weiblein in der Weltspitze leistungsfähiger zu machen“, sagte Schwanitz. „Er ist der beste Trainer der Welt“, lobte Storl, der mit Lang fast zehn Jahre zusammenarbeitet.