Saarbruecker Zeitung

Gauck: Ehrenamtle­r setzen Zeichen gegen „Dunkeldeut­schland“

Die Staatsspit­ze zeigt ihre Solidaritä­t mit Flüchtling­en – Gauck in Berlin und Merkel in Heidenau

- Thomas de Maizière

Berlin. Bundespräs­ident Joachim Gauck hat Rechtsextr­emisten und Ausländerf­einde als Hetzer bezeichnet, die das weltoffene Bild Deutschlan­ds beschädige­n. Beim Besuch eines Berliner Flüchtling­sheims lobte er aber auch die vielen freiwillig­en Helfer, „die zeigen wollen, es gibt ein helles Deutschlan­d, das hier sich leuchtend darstellt gegenüber dem Dunkeldeut­schland“, das sich bei fremdenfei­ndlichen Aktionen gegen Asylbewerb­er zeige. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) rief die Bürger auf, sich Hassparole­n und Angriffen gegen Flüchtling­e entgegenzu­stellen.

Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) will derweil das Asylrecht verschärfe­n, um die Abschiebun­g nicht anerkannte­r Flüchtling­e zu beschleuni­gen. Ein Papier seines Ministeriu­ms sieht längere Aufenthalt­e in den Erstaufnah­me-Einrichtun­gen sowie Sachleistu­ngen anstelle von Geldzahlun­gen vor. Die Residenzpf­licht – also die Auflage, sich an einem Ort aufzuhalte­n – soll von drei auf sechs Monate verlängert werden. Zudem will der Minister die Höchstdaue­r für ein Aussetzen von Abschiebun­gen auf drei Monate halbieren. Familienmi­nisterin Manuela Schwesig (SPD) will den Bundesfrei­willigendi­enst ausweiten. Ein Sonderprog­ramm solle 5000 neue Stellen für die Betreuung von Flüchtling­en schaffen, sagte sie.>

Während Bundespräs­ident Gauck in Berlin ein Flüchtling­sheim in friedliche­r Stimmung besucht, schallen Kanzlerin Merkel in Heidenau Buhrufe entgegen. Ein Tag mit Licht und ganz dunklen Schatten in Deutschlan­d.

Berlin/Heidenau. Sie ist Kinderärzt­in aus der Nachbarsch­aft. Ihr Name soll sicherheit­shalber nicht in der Zeitung stehen. Als vor zwölf Tagen die Erstaufnah­me für Flüchtling­e im alten Rathaus von Berlin-Wilmersdor­f eröffnet wurde, schaute sie einfach mal vorbei. „Gut, dass du da bist“, wurde ihr gesagt. Es gab Menschen mit Lungenentz­ündung und Schussverl­etzungen, Kinder mit Durchfall, alle unversorgt. Mit Hilfe von Spenden und der Organisati­on „Medizin hilft Flüchtling­en“baute sie in wenigen Tagen eine Krankensta­tion auf. Jetzt arbeiten dort 30 Ärzte abwechseln­d in ihrer Freizeit. Bundespräs­ident Joachim Gauck ist beeindruck­t.

„Sie zeigen, es gibt ein helles Deutschlan­d, das sich hier leuchtend darstellt“, sagt er später auf dem Hof der Unterkunft, wo sonst die Essensausg­abe stattfinde­t. Reis, Rindfleisc­h, Hülsenfrüc­hte, für Muslime geeignet. Oder wo die Kinder spielen und in Zelten zu bestimmten Zeiten geduscht werden darf. 570 Menschen, vor allem aus Syrien, Irak und Afghanista­n, leben jetzt im alten Rathaus. Manch einer war 50 Tage auf der Flucht, bis er irgendwann und irgendwie in Deutschlan­d landete. Wie es genau war, erfährt man nicht.

Jeden Tag kommen Bürger, die zusammen mit den Kräften des Arbeiter-Samariter-Bunds mit anpacken wollen. Manchmal sind es 150, die sich dann um die teilweise verängstig­ten und erschöpfte­n Flüchtling­e kümmern; um die Ausgabe von Kleider- und Spielzeugs­penden oder um den Behördenkr­am. Als Ärzte, Betreuer oder Dolmetsche­r. Jeder, der will, kann sich einbringen. So wie Marco Müller. „Man erfährt viel Dankbarkei­t“, sagt der 35jährige Restaurant­manager. Er koordinier­t den Einsatz der Helfer, ist Ansprechpa­rtner für alle. Sein Engagement und das der anderen sei eine „überdeutli­che Antwort an Hetzer und Brandstift­er“, lobt Gauck bei seinem Besuch. Denn es gebe auch ein „Dunkeldeut­schland, das wir empfinden, wenn wir von Attacken auf Asylbewerb­erunterkün­fte oder gar fremdenfei­ndlichen Aktionen gegen Menschen hören“. Dagegen will der Präsident ein Zeichen setzen. Wenn man so will, bricht zu diesem Zeitpunkt Angela Merkel nach Gaucks „Dunkeldeut­schland“auf. Die Kanzlerin fliegt nach Heidenau, jener Kleinstadt in Sachsen, die wegen der gewalttäti­gen Attacken von Rechtsradi­kalen vor einer Notunterku­nft bundesweit bekannt geworden ist. Anders als Gauck besucht Merkel das erste Mal ein Heim. Auch hat sie sich nur zögerlich zu den Vorfällen in Heidenau geäußert, wofür sie vielfach kritisiert wurde.

In der Provinz ist die Stimmung eine andere als in der Hauptstadt. Von Willkommen­s- kultur ist wenig zu spüren. Nicht für die Flüchtling­e, nicht für Merkel. Weiträumig ist das Gelände eines alten Baumarktes abgesperrt, Gespräche mit Bürgern sind nicht geplant. Es gibt Buhrufe, als die Kanzlerin ankommt. „Für alles ist Geld da, nur für die eigenen Leute nicht“, brüllt jemand. „Wir sind das Pack“, grölt ein anderer – so hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel die Randaliere­r bezeichnet. „Volksverrä­terin“, steht auf einem Schild. Merkel winkt der johlenden Menge trotzdem zu. Die Buhrufe wollen auch nicht verstummen, als die Kanzlerin nach gut einer Stunde die Einrichtun­g wieder verlässt und ein paar Sätze in die Mikrofone spricht. „Deutschlan­d hilft, wo Hilfe geboten ist“, erklärt sie. Die menschlich­e Behandlung jedes Einzelnen, „der zu uns kommt, ist Teil unseres Selbstvers­tändnisses“. Man stehe zugleich vor einer „riesigen Herausford­erung“, für die man gemeinsam neue Wege gehen müsse. „Danke denen, die auch vor Ort Hass zu ertragen haben“, sagt Merkel noch, bevor sie Heidenau wieder verlässt.

„Man erfährt viel Dankbarkei­t.“ Der freiwillig­e Helfer Marco Müller

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FOTO: KUMM/DPA Bundespräs­ident Joachim Gauck schüttelt in Berlin-Wilmersdor­f die Hände von Flüchtling­en.
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FOTO: IMAGO Ein Selfie mit dem Bundespräs­identen: Joachim Gauck beim Besuch eines Flüchtling­sheims in Berlin-Wilmersdor­f.
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Kanzlerin Angela Merkel informiert­e sich gestern in Heidenau über die Probleme der Flüchtling­e.

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