Saarbruecker Zeitung

Alles sanft und lyrisch Sozialhelf­er in Uniform

Neu: „Staatsdien­er“von Marie Wilke Neu im Kino: „Anni Felici – Barfuß durchs Leben“von Daniele Luchetti mit Kim Rossi Stuart

- Von Sebastian Ostendorf Von Uwe Mies

Der Einstieg der Doku „Staatsdien­er“ist etwas langatmig: Schießen, Anzeigen schreiben, Staatsrech­t büffeln, Schlagstoc­k schwingen, Kohorte bilden. Das erste Drittel des Films zeigt dem Zuschauer, dass der Alltag für angehende Polizisten in der Ausbildung von großer Monotonie geprägt ist. Doch der dröge Auftakt täuscht über die Stärken der Dokumentat­ion weg. Die werden dann deutlich, wenn die Rekruten über den Sinn und Zweck ihrer Arbeit ins Grübeln kommen und sie mit dem harten Polizei-Alltag konfrontie­rt werden.

Die Filmemache­rin Marie Wilke hat eine Gruppe von Polizeisch­ülern aus Sachsen-Anhalt begleitet. Kathrin und Viktor sind die beiden Pole bei den Jungspunde­n. Kathrin schreckt bei der Schießausb­ildung zusammen, hinterfrag­t Korpsgeist und Schweigeka­rtelle, sie quält sich mit grundsätzl­ichen Fragen, wie weit ein Polizist gehen darf. Sie will sich um Menschen kümmern – nicht zurecht weisen. Ihr Kollege Viktor hingegen ist das genaue Gegenteil. Er mag Regeln und klare Ansagen. Er respektier­t Autoritäte­n und will öffentlich­e Ordnung durchsetze­n. Hooligans und Nazis haben auf Demos ihm gegenüber Abstand zu halten. „Sonst setzts was mit Schlagstoc­k.“

Was die beiden gemeinsam haben, ist ihr Idealismus. Sie verrichten fortan Dienst in den ostdeutsch­en Plattenbau-Siedlungen. Die Szenen, die sich ihnen dort bieten, sind vor allem soziale Verelendun­g und Ablehnung staatliche­r Autorität. Polizisten müssen hier als Sozialbetr­euer auftreten. Die Doku lässt offen, ob Viktor und Kathrin mit ihren heren Prinzipien dort scheitern und abstumpfen wie viele ihrer altgedient­en Kollegen. ( D 2015, 81 Min.; Filmhaus Sb.; Regie: Marie Wilke) Polizeisch­ülerin Kathrin Dario und sein jüngerer Bruder Paolo leben mit ihren Eltern in Rom. Vater Guido (Kim Rossi Stuart) ist Künstler, der sich zunehmend in seiner Arbeit verkrampft, weil ihn der Anspruch in Richtung wilder, provokante­r Avantgarde treibt, sein Leben an der Seite der schönen Serena (Micaela Ramazzotti) aber bürgerlich­en Strukturen verpflicht­et ist.

Diese Kluft zwischen Wunsch und Wirklichke­it, die Guido auch schon mal mit einem seiner Nacktmodel­s im Bett kompensier­t, führte zuletzt zu heftigem, Streit mit Serena. Als Guido eine berufliche Einladung nach Mailand erhält, reist er kurzentsch­lossen alleine ab. Serena folgt mit den Kindern zur Premiere von Guidos Performanc­e nach und lernt dabei die Galeristin Helke (Martina Gedeck) kennen. Als die amouröse Avancen macht, lässt Serena sich darauf ein. Die Ehe mit Guido beginnt ihr zu entgleiten.

Und was ist mit den Jungs, so möchte man fragen angesichts einer Familienst­ory, in der nichts in Bahnen verläuft, die man heutzutage als normal betrachten würde. Wie schon letztes Jahr Asia Argento hat nun auch Danie- le Luchetti („Mein Bruder ist ein Einzelkind“) einen Film mit Bezügen auf die eigene Jugend hin inszeniert. Aber während Argento in „Missversta­nden“emotionale Zer- störungslu­st im Neon-Videolook der 80er Jahre betrieb, badet Luchetti seine titelgende­n glückliche­n Jahre in den weichen Orange-, Grün- und Brauntönen der Serena (Micaela Ramazzotti, rechts) und Helke (Martina Gedeck) genießen das Leben. Mittsiebzi­ger. Und er lässt als Familienau­to einen Citroën CV (auch „Ente“genannt) durch die Kurven schaukeln und zelebriert erwachsene Orientieru­ngslosigke­it im abgemilder­ten Skandalsti­l der 70er – immerhin wird die Geschichte ja im Blick zurück gezeigt mit den Augen eines zwar pubertiere­nden, aber doch unschuldig­en Knaben, dem die neue Filmkamera wichtiger ist als der Selbstfind­ungsstress der Eltern.

Alles an diesem Film ist sanft, der Sex, der Streit und die Satire. Der Film ist lyrisch, aber frei vom Schmalz eines Poesiealbu­ms. Es gibt eine grandiose Auseinande­rsetzung zwischen dem Künstler und einem Kritiker, die nicht nach Versöhnung giert, aber eine Lanze für gegenseiti­gen Respekt bricht. Der Film ist nicht schwer, macht es sich aber auch niemals zu leicht. Es ist ein Film für Erwachsene – im besten Sinne.

Italien 2014, 101 Min., Camera Zwo (Sb); Regie: Daniele Luchetti; Drehbuch: Luchetti u.a.; Kamera: Claudio Collepicco­lo; Musik: Franco Piersanti; Darsteller: Kim Rossi Stuart, Micaela Ramazzotti, Martina Gedeck, Samuel Garofalo.

 ?? Foto: Emanuela Scarpa ??
Foto: Emanuela Scarpa
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany