Alles sanft und lyrisch Sozialhelfer in Uniform
Neu: „Staatsdiener“von Marie Wilke Neu im Kino: „Anni Felici – Barfuß durchs Leben“von Daniele Luchetti mit Kim Rossi Stuart
Der Einstieg der Doku „Staatsdiener“ist etwas langatmig: Schießen, Anzeigen schreiben, Staatsrecht büffeln, Schlagstock schwingen, Kohorte bilden. Das erste Drittel des Films zeigt dem Zuschauer, dass der Alltag für angehende Polizisten in der Ausbildung von großer Monotonie geprägt ist. Doch der dröge Auftakt täuscht über die Stärken der Dokumentation weg. Die werden dann deutlich, wenn die Rekruten über den Sinn und Zweck ihrer Arbeit ins Grübeln kommen und sie mit dem harten Polizei-Alltag konfrontiert werden.
Die Filmemacherin Marie Wilke hat eine Gruppe von Polizeischülern aus Sachsen-Anhalt begleitet. Kathrin und Viktor sind die beiden Pole bei den Jungspunden. Kathrin schreckt bei der Schießausbildung zusammen, hinterfragt Korpsgeist und Schweigekartelle, sie quält sich mit grundsätzlichen Fragen, wie weit ein Polizist gehen darf. Sie will sich um Menschen kümmern – nicht zurecht weisen. Ihr Kollege Viktor hingegen ist das genaue Gegenteil. Er mag Regeln und klare Ansagen. Er respektiert Autoritäten und will öffentliche Ordnung durchsetzen. Hooligans und Nazis haben auf Demos ihm gegenüber Abstand zu halten. „Sonst setzts was mit Schlagstock.“
Was die beiden gemeinsam haben, ist ihr Idealismus. Sie verrichten fortan Dienst in den ostdeutschen Plattenbau-Siedlungen. Die Szenen, die sich ihnen dort bieten, sind vor allem soziale Verelendung und Ablehnung staatlicher Autorität. Polizisten müssen hier als Sozialbetreuer auftreten. Die Doku lässt offen, ob Viktor und Kathrin mit ihren heren Prinzipien dort scheitern und abstumpfen wie viele ihrer altgedienten Kollegen. ( D 2015, 81 Min.; Filmhaus Sb.; Regie: Marie Wilke) Polizeischülerin Kathrin Dario und sein jüngerer Bruder Paolo leben mit ihren Eltern in Rom. Vater Guido (Kim Rossi Stuart) ist Künstler, der sich zunehmend in seiner Arbeit verkrampft, weil ihn der Anspruch in Richtung wilder, provokanter Avantgarde treibt, sein Leben an der Seite der schönen Serena (Micaela Ramazzotti) aber bürgerlichen Strukturen verpflichtet ist.
Diese Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit, die Guido auch schon mal mit einem seiner Nacktmodels im Bett kompensiert, führte zuletzt zu heftigem, Streit mit Serena. Als Guido eine berufliche Einladung nach Mailand erhält, reist er kurzentschlossen alleine ab. Serena folgt mit den Kindern zur Premiere von Guidos Performance nach und lernt dabei die Galeristin Helke (Martina Gedeck) kennen. Als die amouröse Avancen macht, lässt Serena sich darauf ein. Die Ehe mit Guido beginnt ihr zu entgleiten.
Und was ist mit den Jungs, so möchte man fragen angesichts einer Familienstory, in der nichts in Bahnen verläuft, die man heutzutage als normal betrachten würde. Wie schon letztes Jahr Asia Argento hat nun auch Danie- le Luchetti („Mein Bruder ist ein Einzelkind“) einen Film mit Bezügen auf die eigene Jugend hin inszeniert. Aber während Argento in „Missverstanden“emotionale Zer- störungslust im Neon-Videolook der 80er Jahre betrieb, badet Luchetti seine titelgenden glücklichen Jahre in den weichen Orange-, Grün- und Brauntönen der Serena (Micaela Ramazzotti, rechts) und Helke (Martina Gedeck) genießen das Leben. Mittsiebziger. Und er lässt als Familienauto einen Citroën CV (auch „Ente“genannt) durch die Kurven schaukeln und zelebriert erwachsene Orientierungslosigkeit im abgemilderten Skandalstil der 70er – immerhin wird die Geschichte ja im Blick zurück gezeigt mit den Augen eines zwar pubertierenden, aber doch unschuldigen Knaben, dem die neue Filmkamera wichtiger ist als der Selbstfindungsstress der Eltern.
Alles an diesem Film ist sanft, der Sex, der Streit und die Satire. Der Film ist lyrisch, aber frei vom Schmalz eines Poesiealbums. Es gibt eine grandiose Auseinandersetzung zwischen dem Künstler und einem Kritiker, die nicht nach Versöhnung giert, aber eine Lanze für gegenseitigen Respekt bricht. Der Film ist nicht schwer, macht es sich aber auch niemals zu leicht. Es ist ein Film für Erwachsene – im besten Sinne.
Italien 2014, 101 Min., Camera Zwo (Sb); Regie: Daniele Luchetti; Drehbuch: Luchetti u.a.; Kamera: Claudio Collepiccolo; Musik: Franco Piersanti; Darsteller: Kim Rossi Stuart, Micaela Ramazzotti, Martina Gedeck, Samuel Garofalo.