Angst vor dem „polizeilichen Notstand“
Ein Versammlungsverbot in Heidenau wird wieder gekippt – Ist die Polizei überlastet?
In Heidenau ging es gestern drunter und drüber. Ein Fest für Flüchtlinge fand letzten Endes doch statt und ein Versammlungsverbot wurde gerichtlich gestoppt. Sachsens Innenminister wurde von Chaoten vertrieben.
Berlin. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schaltete sich gestern in die Debatte ein. Der Bund werde „alles tun, um in dem Maße, wie er helfen kann, die sächsische Polizei zu unterstützen“, so Merkel am Rande ihres Treffens mit dem neuen dänischen Ministerpräsidenten Lars Løkke Rasmussen. Gibt es bereits einen „polizeilichen Notstand“in den Ländern, weil die Beamten nicht mehr in der Lage sind, Flüchtlingsheime und Helfer vor rechten Angriffen angemessen zu schützen? Vor allem in Sachsen?
Mit der Notstands-Begründung hatte das zuständige Landratsamt versucht, im sächsischen Heidenau ein Versammlungsverbot zu erlassen, nachdem Rechtsradikale dort massiv randaliert hatten. Damit wäre auch ein geplantes Willkommensfest für Flüchtlinge ins Wasser gefallen. Das vom Landkreis erlassene Versammlungsverbot bleibt nach langem Hin und Her nach einem Beschluss des sächsischen Oberverwaltungsgerichts in Bautzen teilweise in Kraft. Das Verbot sei nur bezüglich des Willkommensfests der Initiative Dresden Nazifrei für die Bewohner eines neu eingerichteten Asylbewerberheims gestern ungültig, teilte das Gericht mit. Andere öffentliche Versammlungen sind demnach am Wochenende verboten - entsprechend einer vorherigen Verfügung des Landkreises, der zur Begründung des Verbots einen „polizeilichen Notstand“geltend gemacht hatte.
In der Politik war das Vorgehen des Landratsamtes ohnehin auf große Missbilligung gestoßen. SPD-Chef Sigmar Gabriel meinte während seiner Sommerreise, es gebe keinen Grund, Gewalttäter und friedfertige Bürger gleich zu behandeln. Mehrere Bundespolitiker zeigten sich trotzig und reisten nach Heidenau, zum Beispiel die Partei-Vize der Linken, Caren Ley, und Grünen-Chef Cem Özdemir. Es könne nicht sein, „dass Rechtsradikale bestimmen, wer sich wann wo versammeln kann“, so Özdemir. Wenn Sachsen überlastet sei, müsse eben Hilfe aus anderen Bundesländern angefordert werden.
Gleichwohl gilt: Nicht nur die sächsische Polizei ist überfor-
Dieses Flüchtlingsmädchen bekam beim Willkommensfest in Heidenau (Sachsen) Spielzeug geschenkt.
dert, weil im Freistaat in den letzten 15 Jahren 1600 Dienstposten abgebaut wurden. Bundesweit gab es einen massiven Personalabbau. 15 000 Stellen seien insgesamt über die Jahre in Deutschland weggefallen, so die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG). Von 16 000 spricht sogar die andere Arbeitnehmervertretung, die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Tausende weitere Jobs sollen noch auf den Streichlisten der Länder stehen. „Das sind die Kollegen, die in den Ruhestand gehen und für die wir keine Nachbesetzung bekommen sollen“, so DPolG-Chef Rainer Wendt auf Nachfrage. Viele der rund 245 000 Polizisten in Deutschland arbeiten deshalb am Limit – zu wenig Personal, aber immer mehr Aufgaben. Und jetzt auch noch die Flüchtlingskrise.
Wendts Fazit: „Es gibt schon lange einen polizeilichen Notstand in Deutschland. In jeder Polizeiwache, in jeder Kriminalwache, in jeder Hundertschaft.“
Was das bedeutet, erfuhr Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU). Vertreter der Flüchtlingsunterstützer machten den Minister für das Versammlungsverbot und die fremdenfeindlichen Krawalle in Heidenau mit verantwortlich und verjagten ihn regelrecht.