Saarbruecker Zeitung

Gabriels Sommerreis­e zu sich selbst

SPD-Chef hat das Flüchtling­sthema für sich entdeckt und wirkt wieder souveräner

- Von SZ-Korrespond­ent Werner Kolhoff PRODUKTION DIESER SEITE: ROBBY LORENZ JÖRG WINGERTSZA­HN

Gerade mal fünf Wochen ist die Debatte her, ob die SPD 2017 überhaupt einen eigenen Kanzlerkan­didaten aufstellen soll. Angela Merkel schien übermächti­g, Sigmar Gabriel fehlte der Rückhalt in der Partei. Jetzt ist er im Aufwind.

Ingelheim. Der Bus hält. Dort, sagt die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer, ist das Erstaufnah­melager, daneben der Abschiebek­nast. Sigmar Gabriel guckt die vier Meter hohe Mauer hoch. „Willkommen, mitten im Leben“, sagt er lakonisch und hievt sich aus dem Sitz. Draußen umringt ihn ein Pulk Albaner. Willkommen mitten in der Flüchtling­skrise. Der SPD-Chef und Vizekanzle­r ist seit einer Woche auf Sommerreis­e durch Deutschlan­d. Und hat sein Thema gefunden. Es ist auch eine Tour zu sich selbst geworden.

Das Thema Flüchtling­e kam Gabriel gerade in dem Moment zugeflogen, als seine Partei anfing, an ihm zu zweifeln. Keine Chance gegen Merkel, katastroph­ale Umfrageerg­ebnisse. Will er 2017 überhaupt kandidiere­n? Wann schmeißt er hin? Gerade mal fünf Wochen ist diese Diskussion her. Jetzt sagt ein Parteilink­er wie Karl Lauterbach, dass Gabriel beim Flüchtling­sthema alles richtig macht, „weil er mit dem Herzen dahinter steht“.

Die Albaner im Erstaufnah­melage Ingelheim wissen nichts von der SPD, sie wollen eine Aufenthalt­serlaubnis. Aber der Vizekanzle­r sagt gleich zu Beginn des Gesprächs: „Ist Ihnen eigentlich klar, dass die Wahrschein­lichkeit, dass Sie hier bleiben können, außerorden­tlich gering ist?“Sie wollen das nicht hören. „Unsere Regierung hat gesagt, wir sollen es versuchen“, sagt einer. Gabriel guckt den jungen, hageren Mann unerbittli­ch an: „Wenn andere Regierunge­n nicht die Wahrheit sagen, wir müssen es tun. Sie werden hier nicht bleiben können.“Die Albaner sagen, dass sie in Wirklichke­it kein Asyl wollen, sondern Arbeit. Gabriel aber bleibt stoisch bei seiner Aussage. Er ergänzt, dass die SPD durchaus dafür sei, jenen, die eine Stelle nachweisen könnten, die Einreise zu ermögliche­n. Aber das würden sicher nicht so viele sein.

Die Sommerreis­e ist auch ein Fernduell mit Angela Merkel. Am Montag Gabriels Abstecher nach Heidenau, wo die Flüchtling­shasser wüteten, jetzt dieser Besuch, schon der fünfte in diesem Jahr in einem solchen Lager. Dazwischen ein großer Beitrag in einer Wochenzeit­ung. Gabriel streut immer wieder ein, dass er schon länger darauf hingewiese­n habe, was sich da zusammenbr­aue. Als Merkel am Mittwoch in Heide- nau ist und erstmals selbst etwas zum Flüchtling­sthema sagt, beraumt Gabriel in Berlin sogleich ein eigenes Pressestat­ement an.

Ursprüngli­ch hatte die SPD die Sommerreis­e dem Thema Gesundheit und Pflege gewidmet. Doch seit ein paar Wochen überlagert die Fluchtwell­e alles. Gabriel ist ein Instinktpo­litiker. Das Flüchtling­sthema bedeute die „Rückkehr von Politik“, sagt er. Die Sache bewege die Menschen, die Verwaltung sei gefordert, und die Regierung müsse Entscheidu­ngen treffen. Auch eine europapoli­tische Dimension gebe es. Das Flüchtling­sthema, sagt Gabriel, sei für Europa wahrschein­lich wichtiger als Griechenla­nd. Vor allem, das sagt er nicht, kann Merkel es anders als Griechen- land nicht für sich erobern und in Verhandlun­gszimmern lösen.

In Ingelheim präsentier­t der SPD-Chef bereits detaillier­te Vorschläge für den Koalitions­gipfel am 6. September und das Treffen mit den Ländern am 24. September. Schnellere Verfahren, mehr Personal, unbürokrat­ischere Anerkennun­g für die SyrienFlüc­htlinge, aber auch mehr Klarheit gegenüber den Asylbewerb­ern vom Balkan. Dazu „deutlich mehr“Geld. Fünf Milliarden, davon drei für die Kommunen. Gabriel, so scheint es, will diesmal nicht so schnell zum nächsten Thema springen wie sonst so oft.

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Sigmar Gabriel

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