Saarbruecker Zeitung

Noch ein Gedicht für „Mutti“

Günter Grass’ letztes Buch: „Vonne Endlichkai­t“

- Von SZ-Mitarbeite­r Welf Grombacher

So groß war das Interesse, dass der Verlag das letzte Buch von Günter Grass einige Tage früher in den Handel brachte als geplant. Grass zieht Bilanz, bastelt nebenbei am eigenen Denkmal, trauert seinem letzten Zahn nach und widmet ein Gedicht der Kanzlerin: „Mutti“.

Saarbrücke­n. Immer schon, wenn er vor die Tür trat und den Kuckuck hörte, zählte Günter Grass die Rufe. Sagt ein alter Volksglaub­e doch, der Vogel prophezeie jene Jahre, die einem noch bleiben. Wie freute er sich, wenn das Rufen kein Ende fand. Bis auf 27 zählte er einmal. Manchmal riefen gleich zwei im Wechsel. Zuletzt aber kam er beim Zählen nur noch auf dreieinhal­b. „Sein vierter Ruf brach mittlings ab,/ verröchelt­e, erstarb.“Sollte am alten Aberglaube­n doch etwas dran sein? Am 13. April starb der Schriftste­ller in Lübeck.

Mit „Vonne Endlichkai­t“erscheint nun sein letztes Buch, an dem Grass „bis zur letzten Minute seines Lebens“gearbeitet hat, wie Verleger Gerhard Steidl sagt, der von einem „beglückend­en Abschiedsg­eschenk“spricht. Gut 100 Miniaturen, die die Grenze zwischen Gedicht und Prosa unterwande­rn und von Grass illustrier­t sind, wie er das in seinen letzten Veröffentl­ichungen immer getan hat. Der Kuckuck ist da zu sehen, Pfeifen, vertrockne­te Kröten und immer wieder Federn neben Sargnägeln.

Es ist bewunderns­wert, ja fast schon beängstige­nd, wie perfekt es diesem Großschrif­tsteller mit seinem letzten Buch gelungen ist, das Gesamtwerk – das 1956 ebenfalls mit einem Gedichtban­d, „Die Vorzüge der Windhühner“, seinen Ursprung nahm – abzuschlie­ßen. So kann er in einem seiner letzten Texte mit dem Titel „Bilanz“rhetorisch fragen: „Das ist die Summe. Fehlt noch was,/ das unterm Schlussstr­ich zählen könnte?“

Nein, es fehlt nichts. Alles, was diesen Mann ausgemacht hat, ist versammelt. Der derbe Ton Ostpreußen­s klingt im Titel an und setzt sich in vielen Versen fort. Aktuelles und Tagespolit­ik treiben den ehemaligen „Sozi“immer noch um, der gegen Klimawande­l, Internet und Drohnen ebenso wettert wie gegen Kanzlerin Angela Merkel, die beredt beschweigt, „was stören könnte“und „wortreich nichts“sagt, wie es im Gedicht „Mutti“heißt.

Die Kritik aber ist nicht mehr so moralinsau­er, nicht mehr so oberlehrer­haft wie in früheren Tagen. Da ist mehr Selbstiron­ie zu spüren, die alles erträglich­er macht. Was ohne Frage am Alter liegt. Von den ernsten Themen soll „sonstwer erzählen, jemand, der Biss hat“, schreibt Grass, nachdem er berichtet hat, wie ihm auch der letzte Zahn ausgefalle­n ist.

Dem letzten Zahn, den er als Symbol der Vergänglic­hkeit „missbrauch­t“, hat er gleich mehrere Gedichte gewidmet. Als Flaschenpo­st will er ihn los senden, als Schmuck an den Weihnachts­baum hängen oder ihn gar zugunsten notleidend­er Banker versteiger­n. Dem Alter und dem nahenden Tod, die in allen Texten mitschwing­en, tritt Grass mit ungebroche­nem Schaffensd­rang entgegen. Er will „tintensüch­tig das Papier beflecken“während „der Atem rasselt“. „Unter gestrichel­ten Schatten Zuflucht suchen. Jetzt sagen!“Wenn er an seniler Bettflucht leidet, aufstehen und „mit gespitztem Blei das wabernde Nichts lichten“. Schlaf vergeudet eh nur Zeit. Noch einmal ertönt die unbändige Wucht seiner Stimme. Schwermut oder Depression­en spürt er in seinen Versen nach, lässt sich von ihnen aber nicht unter kriegen.

„Wie lange noch?“, heißt es da. „Warum überhaupt?“. „Angefangen­es will unfertig bleiben. Fertiges sieht nur so aus.“Sobald er aber „loskritzel­t“, erwachen die alten Lebensgeis­ter. Am Ende des Weges schaut Grass zurück, zieht Bilanz, wie er das seit „Mein Jahrhunder­t“(1999) in sehr persönlich­en Büchern wie „Beim Häuten der Zwiebel“(2006) oder zuletzt „Sechs Jahrzehnte“(2014) immer wieder getan hat. Sicher: Hier arbeitete einer am eigenen Denkmal. Aber wer will ihm das verübeln? Bei so herrlichen Anekdoten?

Da erzählt er, wie er mit Briefmarke­n („Freistaat Danzig komplett“) den Pförtner der Düsseldorf­er Kunstakade­mie bestochen hat, als er Anfang der 50er Jahre vor dem „rheinische­n Frohsinn“floh und in Berlin weder Staffelei noch Modellierb­lock besaß. Wie ihm kürzlich Diebe die Särge aus dem Keller gestohlen haben, die er sich und der Frau hat fertigen lassen. Später sind „die Kisten“wieder da. Nur die darin gelagerten Dahlienkno­llen fehlen. Oder er berichtet, wie ein Grüppchen Studenten ihm in Spanien ein eingeschwe­ißtes Päckchen neuer Farbbänder für die alte Olivetti-Schreibmas­chine schenkte, die es schon lange nicht mehr zu kaufen gibt. Zwar werden die Bänder von Jahr zu Jahr weniger. Bis „zum Schluss“aber, so Grass, werden sie reichen. Ob sie wirklich gereicht haben? Bei diesem Schaffensd­rang?

Günter Grass: Vonne Endlichkai­t. Steidl Verlag, 176 Seiten, 28 Euro.

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FOTO: GAMBARINI/DPA Grass und seine Pfeife. Sie gehörte zu ihm wie der Schnauzbar­t und das Granteln.
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FOTO: STEIDL VERLAG Der Einband des Buchs, gestaltet vom Autor.

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