Saarbruecker Zeitung

Gemeinsame Aufgabe

- Von SZ-Korrespond­ent Hagen Strauß

Gysi: Ja, natürlich. Weil eine unzulässig­e Verallgeme­inerung stattfinde­t. Was in Dresden und in der Umgebung passiert, ist ja nicht typisch für Ostdeutsch­land. Auch dort gibt es klare Mehrheiten gegen den Rechtsextr­emismus. Man nimmt nicht zur Kenntnis, dass beispielsw­eise in Leipzig die Lage ganz anders aussieht. Ich habe schon früher gesagt: Beim Rechtsextr­emismus war es immer so, die Anführer kamen aus dem Westen, das Fußvolk aus dem Osten. Das ärgert mich schon.

Viele Experten sagen aber, das Problem des Rechtextre­mismus ist im Osten größer. Woran liegt das? Gysi: Dafür ist der Antisemiti­smus im Westen wieder sehr viel stärker als im Osten. Auch das muss man als Tatsache zur Kenntnis nehmen. Es ist natürlich so: In einer geschlosse­nen Gesellscha­ft, die im Osten ja zum Teil auch eine isolierte gewesen ist, entstehen andere Ängste als in einer offenen Gesellscha­ft. Mit

kämpfen.

Nur wie? Gysi: Indem wir alle – Politiker, Künstler, Wissenscha­ftler, auch die Medien – mehr Aufklärung leisten. Indem wir Grenzen überschrei­ten. Ein Beispiel: Ich habe so viele Meinungsve­rschiedenh­eiten mit der CDU, aber egal, beim Thema Rechtsextr­emismus sage ich, jetzt müssen wir etwas gemeinsam dagegen machen.

Wie muss mit dem Flüchtling­sthema umgegangen werden? Gysi: Für mich steht fest: Wir dürfen die Kommunen nicht länger im Stich lassen mit dem Flüchtling­sproblem. Der Bund muss alle notwendige­n finanziell­en Mittel zur Verfügung stellen. Wir brauchen auch eine gerechte Kostenvert­eilung innerhalb der EU. Ich sage bewusst nicht Flüchtling­e, die kann man nicht verteilen, das sind Menschen. Letztlich müssen wir dann endlich ernsthaft anfangen, die Fluchtursa­chen zu bekämpfen. Wenn wir das nicht machen, wird die Situation eines Tages unbeherrsc­hbar. Dann nutzt auch kein Regierungs­wechsel. Weil keine Regierung damit klarkommen

Ja. Es gibt eine Mehrheit, die sich wegen der negativen Erscheinun­gen in Heidenau und anderswo jetzt herausbild­et. Ich begrüße es sehr, wie viele freiwillig­e Helfer es gibt. Das heißt aber nicht, dass der Bund sich aus der Verantwort­ung stehlen darf. Er muss endlich mehr helfen und mehr tun, damit wir mit der steigenden Zahl der Flüchtling­e menschwürd­ig umgehen können. Sonst werden die Freiwillig­en irgendwann müde. Das geht auch nicht.

MEINUNG

Betrachtet man nur die Entwicklun­gen, die zum Beispiel das Bundesinne­nministeri­um veröffentl­icht hat, dann ist die Zahl der rechtsextr­emistische­n Übergriffe in Ostdeutsch­land überpropor­tional hoch. Auch gibt es viele Studien, in denen erklärt wird, weshalb im Osten Ressentime­nts gegenüber Ausländern eher verbreitet sind als anderswo in der Republik. Die Veränderun­gsprozesse der letzten 25 Jahre sind eine Erklärung. Daraus den Rückschlus­s zu ziehen, Fremden- feindlichk­eit ist ein rein ostdeutsch­es Phänomen, wäre falsch – und fatal. Diese Probleme gibt es auch im Westen. Und wie. Dortmund beispielsw­eise gilt unter Experten als braune Hochburg in den alten Ländern. Wer zudem bei diesem Thema nur die ostdeutsch­e Brille aufsetzt, ignoriert, dass die Bekämpfung von Intoleranz eine gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe ist. Rassismus ist schließlic­h oft auch eine Erscheinun­g in der Mitte der Gesellscha­ft. Was daher besonders beunruhige­nd ist, dass offener Rechtsextr­emismus in ganz Deutschlan­d salonfähig­er geworden ist.

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