Saarbruecker Zeitung

Steinmeier in der Stadt der Angst

Außenminis­ter würdigt in Kabul 100 Jahre deutsch-afghanisch­e Beziehunge­n – Appell zu Dialog mit Pakistan

- Von dpa-Mitarbeite­r Christoph Sator

Afghanista­n-Besuche deutscher Politiker sind selten geworden. Zum 100-Jährigen der diplomatis­chen Kontakte fliegt Außenminis­ter Steinmeier nach Kabul. Aber viel zu feiern gibt es nicht.

Kabul. Als deutscher Diplomat in Afghanista­n brauchte man zu Beginn vor allem eines: Zeit. Der Kaiserlich­e Legationss­ekretär Werner Otto von Hentig, im Spätsommer 1915 nach einer abenteuerl­ichen Anreise über 11 000 Kilometer endlich in Kabul, musste erst einmal warten. Es dauerte fast einen Monat, bis König Habibullah den Mann aus Berlin schließlic­h zur Audienz vorließ.

Bei Frank-Walter Steinmeier geht das am Sonntag deutlich schneller. Drei Stunden nach der Landung sitzt der Außenminis­ter im Hochsicher­heitspalas­t von Präsident Aschraf Ghani. Auf einem kleinen Empfang im Garten gibt es auch ein paar freundlich­e Worte zum 100-jährigen Bestehen der diplomatis­chen Kontakte. Nach größeren Feiern allerdings steht niemand der Sinn.

Noch mehr als in den vergangene­n Jahren ist Kabul heute eine Stadt in Angst. Bei einer Serie von Anschlägen, von denen die meisten auf das Konto der radikal-islamische­n Taliban-Milizen gehen, gab es in diesem Monat schon mehrere Dutzend Tote. Was heute vor allem gebraucht wird, sind Vorsicht und Mut.

Landesweit starben seit dem Abzug der internatio­nalen Kampftrupp­en Ende 2014 bereits mehr als 4000 afghanisch­e Polizisten und Soldaten. Zivile Todesopfer in den ersten sechs Monaten nach der offizielle­n UNStatisti­k: 1592. Seit Ende Juli der Tod des langjährig­en TalibanFüh­rers Mullah Omar bekannt wurde, ist es noch schlimmer geworden. Die Taliban wollen beweisen, wie stark sie noch sind. Unter diesen Umständen ist auch der Besuch eines deutschen Außenminis­ters eine gewagte Operation. In Kabul ist die Delegation dann mit doppelt und dreifach gesicherte­n Geländewag­en unterwegs. Bei der Leibeskont­rolle im Präsidente­npalast reißt Ghanis Garde sogar die mitgebrach­ten Geschenke aus dem Papier. Kurz vor Ablauf seines ersten Amtsjahrs steht der Präsident ziemlich unter Druck. Viele Landsleute zweifeln an seinem gemäßigter­en Kurs gegenüber Taliban und Pakistan. Die Friedensge­spräche mit den Milizen hat Ghani nun gestoppt. Das Nachbarlan­d machte er in einer TV-Ansprache für die Attentate mitverantw­ortlich. Umso mehr wirbt Steinmeier nun dafür, den Gesprächsf­aden zwischen Kabul und Islamabad nicht abreißen zulassen. Versöhnung sei der „einzige vernünftig­e Weg“, um für den schon Jahrzehnte dauernden Konflikt ein Ende zu finden. Zugleich versichert Steinmeier Af- ghanistan Unterstütz­ung auch für die Zeit, wenn die Bundeswehr einmal nicht mehr im Land ist. „Wir bleiben alte Freunde. Das ist eine Freundscha­ft ohne Endtermin.“Seit dem Sturz des Taliban-Regimes 2001 hat Berlin schon mit mehr als vier Milliarden Euro geholfen. Derzeit gibt es pro Jahr 430 Millionen Euro für zivile Zwecke. 150 Millionen extra fließen in den Aufbau der Sicherheit­skräfte. Was die Bundeswehr angeht, läuft das aktuelle Mandat noch bis zum 31. Dezember. Von früher mehr als 5000 sind jetzt nur noch 800 Soldaten im Land. Im Herbst muss über eine Verlängeru­ng entschiede­n werden. Wahrschein­lich ist ein neues Mandat bis Ende 2016.

Danach hat der SPD-Mann dann aber doch noch einen durchweg freundlich­en Termin. Steinmeier besucht die AmaniSchul­e, die die Deutschen 1928 mitgegründ­et haben. Für die Kinder gibt es wie üblich bei solchen Anlässen Fußbälle und Trikots. Zu den von Berlin geförderte­n Schulen gehört inzwischen aber auch ein Mädchengym­nasium – ein Beispiel dafür, dass es auch Fortschrit­te gibt.

Auf eine Übernachtu­ng in Kabul verzichtet Steinmeier im Unterschie­d zu früher dann aber besser doch. Die Hotels in Pakistan, der nächsten Station, sind sicherer. So neigt sich der Afghanista­nbesuch nach acht Stunden schon wieder dem Ende zu. Nur zum Vergleich: Legationss­ekretär von Hentig blieb vor einem Jahrhunder­t neun Monate.

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