Steinmeier in der Stadt der Angst
Außenminister würdigt in Kabul 100 Jahre deutsch-afghanische Beziehungen – Appell zu Dialog mit Pakistan
Afghanistan-Besuche deutscher Politiker sind selten geworden. Zum 100-Jährigen der diplomatischen Kontakte fliegt Außenminister Steinmeier nach Kabul. Aber viel zu feiern gibt es nicht.
Kabul. Als deutscher Diplomat in Afghanistan brauchte man zu Beginn vor allem eines: Zeit. Der Kaiserliche Legationssekretär Werner Otto von Hentig, im Spätsommer 1915 nach einer abenteuerlichen Anreise über 11 000 Kilometer endlich in Kabul, musste erst einmal warten. Es dauerte fast einen Monat, bis König Habibullah den Mann aus Berlin schließlich zur Audienz vorließ.
Bei Frank-Walter Steinmeier geht das am Sonntag deutlich schneller. Drei Stunden nach der Landung sitzt der Außenminister im Hochsicherheitspalast von Präsident Aschraf Ghani. Auf einem kleinen Empfang im Garten gibt es auch ein paar freundliche Worte zum 100-jährigen Bestehen der diplomatischen Kontakte. Nach größeren Feiern allerdings steht niemand der Sinn.
Noch mehr als in den vergangenen Jahren ist Kabul heute eine Stadt in Angst. Bei einer Serie von Anschlägen, von denen die meisten auf das Konto der radikal-islamischen Taliban-Milizen gehen, gab es in diesem Monat schon mehrere Dutzend Tote. Was heute vor allem gebraucht wird, sind Vorsicht und Mut.
Landesweit starben seit dem Abzug der internationalen Kampftruppen Ende 2014 bereits mehr als 4000 afghanische Polizisten und Soldaten. Zivile Todesopfer in den ersten sechs Monaten nach der offiziellen UNStatistik: 1592. Seit Ende Juli der Tod des langjährigen TalibanFührers Mullah Omar bekannt wurde, ist es noch schlimmer geworden. Die Taliban wollen beweisen, wie stark sie noch sind. Unter diesen Umständen ist auch der Besuch eines deutschen Außenministers eine gewagte Operation. In Kabul ist die Delegation dann mit doppelt und dreifach gesicherten Geländewagen unterwegs. Bei der Leibeskontrolle im Präsidentenpalast reißt Ghanis Garde sogar die mitgebrachten Geschenke aus dem Papier. Kurz vor Ablauf seines ersten Amtsjahrs steht der Präsident ziemlich unter Druck. Viele Landsleute zweifeln an seinem gemäßigteren Kurs gegenüber Taliban und Pakistan. Die Friedensgespräche mit den Milizen hat Ghani nun gestoppt. Das Nachbarland machte er in einer TV-Ansprache für die Attentate mitverantwortlich. Umso mehr wirbt Steinmeier nun dafür, den Gesprächsfaden zwischen Kabul und Islamabad nicht abreißen zulassen. Versöhnung sei der „einzige vernünftige Weg“, um für den schon Jahrzehnte dauernden Konflikt ein Ende zu finden. Zugleich versichert Steinmeier Af- ghanistan Unterstützung auch für die Zeit, wenn die Bundeswehr einmal nicht mehr im Land ist. „Wir bleiben alte Freunde. Das ist eine Freundschaft ohne Endtermin.“Seit dem Sturz des Taliban-Regimes 2001 hat Berlin schon mit mehr als vier Milliarden Euro geholfen. Derzeit gibt es pro Jahr 430 Millionen Euro für zivile Zwecke. 150 Millionen extra fließen in den Aufbau der Sicherheitskräfte. Was die Bundeswehr angeht, läuft das aktuelle Mandat noch bis zum 31. Dezember. Von früher mehr als 5000 sind jetzt nur noch 800 Soldaten im Land. Im Herbst muss über eine Verlängerung entschieden werden. Wahrscheinlich ist ein neues Mandat bis Ende 2016.
Danach hat der SPD-Mann dann aber doch noch einen durchweg freundlichen Termin. Steinmeier besucht die AmaniSchule, die die Deutschen 1928 mitgegründet haben. Für die Kinder gibt es wie üblich bei solchen Anlässen Fußbälle und Trikots. Zu den von Berlin geförderten Schulen gehört inzwischen aber auch ein Mädchengymnasium – ein Beispiel dafür, dass es auch Fortschritte gibt.
Auf eine Übernachtung in Kabul verzichtet Steinmeier im Unterschied zu früher dann aber besser doch. Die Hotels in Pakistan, der nächsten Station, sind sicherer. So neigt sich der Afghanistanbesuch nach acht Stunden schon wieder dem Ende zu. Nur zum Vergleich: Legationssekretär von Hentig blieb vor einem Jahrhundert neun Monate.