Saarbruecker Zeitung

NSU-Prozess wird nicht alles aufklären können

Mammutverf­ahren in München geht in seine entscheide­nde Phase

- Von dpa-Mitarbeite­r Christoph Lemmer

München. „Was ist mit dem Bums“? Diese Frage, zu lesen in einer SMS an einen V-Mann aus der rechtsextr­emen Szene, beschäftig­te den Münchner NSUProzess schon vor der Sommerpaus­e – und wird ihn auch danach beschäftig­en. Ermittler vermuten, dass mit dem „Bums“eine Waffe gemeint ist, die für den „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund“beschafft werden sollte.

Am Mittwoch will das Münchner Oberlandes­gericht (OLG) das Mammutverf­ahren gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßlich­e Terrorhelf­er nach vierwöchig­er Unterbrech­ung fortsetzen. Mehr als zweieinhal­b Jahre dauert es schon. Für ein weiteres Jahr hat das Gericht vorsorglic­h Termine geplant. „Wir haben alle wesentlich­en Komplexe durch“, sagte Bundesanwa­lt Herbert Diemer am letzten Prozesstag vor den Ferien. „Angefangen von den Morden über die Sprengstof­fanschläge, die Brandstift­ung in der Frühlingst­raße (der Fluchtwohn­ung des NSU-Trios in Zwickau) und auch die Raubüberfä­lle.“In allen Punkten ist Zschäpe als Mittäterin angeklagt und muss laut Diemer mit einer Verurteilu­ng rechnen. „Bisher haben sich aus mei- ner Sicht unsere Ermittlung­en in der Beweisaufn­ahme voll widergespi­egelt“, sagte der Ankläger.

Was jetzt noch folge, das seien „viele Kleinigkei­ten“. Wie lange das dauere, könne man nicht voraussage­n. Es gebe „keinen Zeugen, der uns sagen kann: So und so war es“, sondern nur Indizien. Ein weiteres Problem: Es geht um einen sehr langen Zeitraum – 13 Jahre ab 1998, die das mutmaßlich­e NSU-Trio im Untergrund lebte. Dazu kommt die Zeit seit Be- ginn der 90er Jahre, als die Szene sich radikalisi­erte – in einer ähnlichen Stimmungsl­age wie heute. Auch damals gab es Brandansch­läge auf Flüchtling­sunterkünf­te und Aufmärsche von Rechtsextr­emisten. Zschäpe nahm an solchen Demonstrat­ionen teil, wie Fotos zeigen, die als Beweismitt­el im Gericht gezeigt wurden.

Aus dem Jahr 1998 stammt die SMS „mit dem Bums“. Es handelt sich um eines der vielen ungelösten Rätsel um die Arbeit der Geheimdien­ste in der rechtsextr­emen Szene. Empfänger war der V-Mann mit dem Decknamen „Piatto“. Der spähte damals für den brandenbur­gischen Verfassung­sschutz die Unterstütz­erszene in Chemnitz aus, wo das Trio zunächst Unterschlu­pf fand. „Piatto“und sein V-Mann-Führer wurden dazu schon befragt. Es ging darum, ob ein führender Chemnitzer Neonazi dem V-Mann den Auftrag erteilte, Waffen für das Trio zu beschaffen. Weder „Piatto“noch sein Führungsbe­amter erinnerten sich aber daran. Der Beamte blätterte bei seiner Befragung immer wieder in einem Aktenordne­r, den das Gericht nach hitziger Debatte sicherstel­lte.

Der Ordner aber darf nun doch nicht als Beweismitt­el verwendet werden. Das SPD-geführte brandenbur­gische Innenminis­terium schickte dem OLG während der Ferien einen Sperrverme­rk. Es begründete ihn mit „dem öffentlich­en Interesse an der Vermeidung drohender Nachteile für die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheit­sbehörden“.

Um die Hintergrün­de des NSU geht es auch bei den Zeugen, die als nächstes gehört werden. Einer ist ein Jugendfreu­nd Zschäpes, der inzwischen als Justizvoll­zugsbeamte­r in Thüringen arbeitet und offen über die Radikalisi­erung der Jenaer Clique berichtete. Der andere ist ein Mann aus Rudolstadt, der nach eigener Aussage den „Thüringer Heimatschu­tz“mitgründet­e – ein Sammelbeck­en von Rechtsextr­emisten.

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