Saarbruecker Zeitung

Der Heiland als Reizfigur

„Jesus 2.0 – Das Christusbi­ld im 20. und 21. Jahrhunder­t” – Schau in Braunschwe­ig

- Von dpa-Mitarbeite­r Valentin Frimmer

Christus-Darstellun­gen von 37 Künstlern aus dem 20. und 21. Jahrhunder­t hat der Sammler Jochen Prüsse zusammenge­tragen, darunter Werke von Marc Chagall, Max Beckmann und Georg Baselitz. Die Ausstellun­g startet am Freitag an fünf verschiede­nen Orten in Braunschwe­ig.

Braunschwe­ig. Künstleris­che Freiheit bei religiösen Themen bekommt nicht jedem. Vor der Ausstellun­g „Jesus 2.0“kriegt Initiator Jochen Prüsse einen Anruf. „Mit der Drohung, die Person hätte sehr großen Einfluss in Braunschwe­ig.“Er werde alles tun, damit möglichst wenig Menschen die Ausstellun­g sehen, kündigt der schimpfend­e Anrufer an. Er stört sich an Christus-Karikature­n, wie Prüsse den Anruf schildert.

37 Künstler der Moderne, darunter viele namhafte, beschäftig­en sich in der Braunschwe­iger Schau mit Jesus – teils kritisch, zweifelnd oder auch ironisch. Einige Kreative hauen bei der künstleris­chen Umsetzung auf die Pauke. Der Mitte April gestorbene Schriftste­ller Günter Grass zeigt in der 1985 entstanden­en Radierung „Golgatha“eine gekreuzigt­e Ratte. Ein Bild, das „Ihre religiösen Gefühle verletzten könnte“, wie es im Katalog heißt. Dabei habe sich Grass keineswegs über die Kreuzigung lustig gemacht, sondern durch das Kreuz die ganze Verworfenh­eit des Menschen zeigen wollen.

Direkt gegenüber hängt eine Abbildung von Jesus, der ans Kreuz genagelt am Strand liegt. Um ihn herum halbnackte, krebsrote Sonnenbade­r. Über Jesus steht auf Französisc­h: „Kann mich jemand umdrehen?“Die aquarellie­rte Zeichnung stammt von dem getöteten Cartoonist­en Tignous. Er starb bei dem islamistis­chen Anschlag auf das französisc­he Satiremaga­zin „Charlie Hebdo“im Januar.

Aber warum reiben sich Künstler so an der Figur Jesus Christus? Zum einen geben die christlich­en Geschichte­n einen riesigen Motivfundu­s ab, sagt der Kunsthisto­riker und Direktor des Diözesanmu­seums Paderborn, Christoph Stiegemann. Zum anderen beschäftig­ten die Kreativen essenziell­e Fragen: Wo geht die Reise hin? „Und da ist der Glaube an Jesus Christus immer noch ein Stachel im Fleisch. Und der reizt und kommt auch nicht zur Ruhe.“Die Kunst reagiere immer sehr sensibel auf solche Befindlich­keiten.

Vor allem die großen Zweifler haben sich intensiv mit Jesus beschäftig­t. So auch der deutsche Maler Ben Willikens. Er lässt Jesus gleich ganz weg. Sein Großformat „Abendmahl IV“zeigt einen kahlen, sehr geometrisc­hen Raum in Schwarz-Weiß. Menschen fehlen gänzlich. An das Abendmahl erinnert lediglich ein langer schmaler Tisch. Der Maler zitiert das berühmte Gemälde von Leonardo da Vinci, entstanden ab 1494.

Läuft bis 22. November. Info zu den Ausstellun­gsorten: www.braunschwe­ig.de/kultur

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