Aufstand der tanzenden Omas
In China nimmt der Streit um Tänze auf öffentlichen Plätzen bizarre Formen an
Die Kinder der chinesischen Kulturrevolution sind heute im Seniorenalter – und lassen sich nichts mehr gefallen. Im Kampf gegen die Freitanz-Partys der Omas haben es die Behörden mit zähen Gegnern zu tun.
Peking. Diese Damen würden sich wehren, wenn jemand sie vertreiben wollte, so viel ist sicher. „Die sollen mal kommen, dann sehen die schon, ob die sich mit uns anlegen wollen“, sagt Wang Shufen, 67 Jahre alt, die Haare schwarz gefärbt und flott gelockt. „Bisher können wir hier aber tanzen, so viel wir wollen.“Auf dem Platz in der Nähe des Vorderen Sees im Zentrum Pekings stampfen im Schein der Straßenlaternen drei Dutzend ältere Damen – und zwei Herren – im Takt der Tanzmusik aus einem schwarzen Lautsprecherblock. Wang bedient den angeschlossenen CD-Player, und sie tätschelt stolz ihren Verstärker: Ein älteres Modell, das es aber auf 2000 Watt bringt. Tatsächlich ist die Musik auch am anderen Ufer des Sees noch gut zu hören.
Das ist auch einer der Gründe, warum sich in der Nachbarschaft Widerstand regt. Die Damen treffen sich in den Abendstunden oder früh am Morgen. Mancher Anwohner würde da gerne schlafen. Doch auf solche Langweiler können diese hoch aktiven Großmütter keine Rücksicht nehmen.
Die tanzenden Omas sind im ganzen Land zu finden. Schätzungen chinesischer Medien zufolge treffen sich jeden Tag über 100 Millionen Rentnerinnen zum Freilufttanzen. Der Staat versucht das zunehmend einzudämmen – doch mit den Omas stehen den kommunistischen Bürokraten ungewöhn-
So wie diese Damen in Peking treffen sich immer mehr chinesische Seniorinnen, um im Freien zu tanzen.
lich zähe Gegner gegenüber.
Der Generationenkonflikt konzentriert sich mehr und mehr auf diese Omas, weil sie ein gut sichtbares Beispiel für den Unterschied der Generationen sind. Sie gehören zur Generation der Kulturrevolution: Wer in den 40er- und 50erJahren in China geboren wurde, ist als junge Erwachsene ab 1966 unter die Mitkämpferinnen und Opfer dieses sozialen Experiments geraten. Diktator Mao Zedong hetzte damals die Jugend gegen Eltern und Lehrer auf – und ließ Teenager aus der Stadt zu harter Arbeit aufs Land schicken. Das Ergebnis waren Millionen gebrochene Biographien.
Heute gelten die Angehörigen dieser Generation als besonders lebenshungrig, aber auch als dreist: Sie haben so viele Veränderungen in Ideologie, gesellschaftlichen Regeln und Lebensweise erlebt, dass sie sich ungern etwas sagen lassen. Die Omas nehmen sich einfach, was sie gut finden. Jetzt wollen sie tanzen. Und was sich ihnen in den Weg stellt, wird weggeräumt: In der alten Kaiserstadt Xi’an haben unlängst einige Autofahrer ihre Wagen auf einem bevorzugten Tanzplatz abgestellt – und die Omas haben die Ärmel ihrer Blusen und Strickpullover aufgerollt, die Hinterachsen der Autos angehoben und sie weggeschoben.
Die Anwohner greifen unterdessen zu immer drastischeren Mitteln. In der zentralchinesischen Stadt Wuhan haben sie Nachttöpfe mit Fäkalien auf die Tänzerinnen ausgeleert. Andernorts sollen schon Schüsse gefallen sein.
Die Regierung in Peking hat als Ziel die „soziale Harmonie“im Land – und wollte in gut sozialistischer Manier durch Anweisungen und Regulierungen in den Konflikt zwischen Omas und Anwohnern eingreifen. Sie hat im Frühjahr eine Liste von zwölf „korrekten“Tänzen erlassen, auf die sich die Tänzerinnen künftig beschränken sollen. Unnötig zu sagen, dass sich auch ein halbes Jahr später kaum eine Tanzgruppe an die Anweisungen hält.
Doch der neue Kulturkampf der selbstbewussten Omas gegen die jüngere Generation und den Staat ist noch nicht ausgefochten. Demnächst könnte Peking beispielsweise Beschränkungen für die Lautstärke oder erlaubte Tageszeiten festlegen. Die zentrale Sportbehörde will auch Wettbewerbe der Tanzgruppen organisieren. Doch all das läuft gegen den Geist des öffentlichen Tanzens. „Wir machen das ja gerade, um uns ganz locker zu treffen – frei von Regeln, davon gibt es schon genug“, sagt Frau Wang, die den CD-Player bedient. Und dreht die Musik noch etwas lauter.