Österreich setzt Asyl- Obergrenze von 80 pro Tag
Wiener Wende in Flüchtlingspolitik – Merkel dämpft Erwartung vor EU-Gipfel
Während Angela Merkel vor dem EU-Gipfel ihren Kurs der offenen Tür für Bürgerkriegsflüchtlinge verteidigt, setzt Österreich ein Stopp-Signal. Nur noch 80 Asylbewerber sollen pro Tag ins Land.
Berlin/Wien. Vor dem EUGipfel zur Flüchtlingskrise hat Österreich ein weiteres Signal der Abschottung gesetzt. Von Freitag an werde die Alpenrepublik an ihrer Südgrenze nur noch 80 Asylbewerber pro Tag ins Land lassen, teilte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) gestern mit. Die Zahl der Flüchtlinge, die in Richtung Deutschland durchreisen dürfen, wurde auf täglich 3200 festgesetzt. Diese doppelte Obergrenze solle bis auf Weiteres gelten und über den Tag verteilt stundenweise abgearbeitet werden. Werde einer der beiden Grenzwerte erreicht, würden die Grenzübertritte gestoppt.
Zur Begründung sagte die Ministerin, „es ist eine Frage der Vernunft, die eigenen Grenzen zu sichern, solange es keine europäische Lösung gibt“. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) hatte zuvor die endgültige Abkehr von der Willkommenskultur verteidigt. Er glaube, dass Deutschland dem Vorbild Wiens folgen werde, sagte Faymann der Zeitung „Kurier“. Dagegen warb die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gestern im Bundestag für die Politik der offenen Tür: „Abschottung – das kann nicht die europäische Antwort sein, jedenfalls nach meiner festen Überzeugung nicht“, sagte sie einen Tag vor dem mit Spannung erwarteten EU- Gipfel.
Bei dem Gipfel wird es heute neben dem drohenden Ausstieg der Briten aus der EU vor allem um den Umgang mit den Flüchtlingen auf der Balkanroute gehen. Die unmittelbar vor dem Gipfel vorgesehenen Gespräche der „Koalition der Willigen“sagte Gastgeber Faymann am Mittwochabend ab, nachdem zuvor der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu nach dem Bombenanschlag von Ankara seine Reise nach Brüssel abgesagt hatte. Merkel dämpfte die Erwartungen in die Zusammenkunft der 27 Staats- und Regierungsschefs. Über die Verteilung von Flüchtlingen in der EU werde beim Gipfel nicht entschieden.
Die gute Nachricht erreichte die Bundeskanzlerin gestern kurz vor ihrer Regierungserklärung: Frankreichs Staatspräsident François Hollande wird heute am Vor-Treffen der Merkel-Verbündeten in der EU-Vertretung Österreichs teilnehmen – zum ersten Mal. Zwar rechnet niemand damit, dass der Sozialist weitreichende Zusagen zur Aufnahme zusätzlicher Flüchtlinge aus der Türkei machen wird (dies hatte sein Premierminister Manuel Valls schon am Wochenende bei der Sicherheitskonferenz in München ausgeschlossen), aber die moralische Unterstützung für die deutsche Regierungschefin zählt viel. Immerhin machten schon Spekulationen die Runde, Angela Merkel werde beim anschließenden EU- Gipfel in Brüssel weitgehend isoliert sein. Doch der Eindruck täuscht. Österreich, die drei BeneluxStaaten, Finnland, Portugal, Slowenien, Schweden und sogar Griechenland stehen hinter dem Plan A der Kanzlerin, bei dem es darum geht, jährlich zwischen 200 000 und 300 000 Flüchtlinge aus der Türkei aufzunehmen und diese dann zu verteilen.
Sogar Athens Premier Alexis Tsipras, der die deutsche Regierungschefin noch während des Wahlkampfes im Herbst wegen ihrer harten Haltung zur Sanierung des Landes regelrecht verteufelte, weiß inzwischen, dass er Merkel braucht: Sollten die vier Länder des neuen „Ost-Blocks“in der EU sich nämlich mit ihrem Plan B durchsetzen und die Grenze zwischen Mazedonien und Griechenland dichtmachen, müsste Athen mit einem Rückstau von Hunderttausenden Asylbewerbern klarkommen. Das will die Kanzlerin vermeiden, weil sie in diesem Fall den Kol- laps des Landes fürchtet. Dabei darf die deutsche Regierungschefin wohl auf noch mehr Unterstützung hoffen. Zwar fehlt ein spanischer Vertreter beim Treffen der „Koalition der Willigen“ebenso wie Italiens Premier Matteo Renzi, der sich in den zurück- liegenden Wochen mehrfach deutlich von Merkel abgesetzt hatte. Er fürchtet, dass die Sparpolitik, die auch Rom massiv belastet, vor allem den Populisten helfen könnte. Trotzdem hieß in den vergangenen Tagen, Renzi habe seinen Widerstand gegen die Zusammenarbeit mit Ankara aufgegeben und sei sogar bereit, seinen Anteil an der Drei-Milliarden-Spritze zur Sanierung der türkischen Flüchtlingslager zu übernehmen. Überraschenderweise bemüht sich auch der tschechische Premier Bohuslav Sobotka, der sich eigentlich den vier Blockierern um den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán angeschlossen hat, Berlin auf keinen Fall zu verärgern. Und selbst die baltischen Staaten stehen – wenn auch etwas stiller und eher in zweiter Reihe – hinter dem Plan der Kanzlerin. Als ausgesprochene Gegner Merkels gelten neben der Regierung in Budapest vor allem die Slowakei und Polen sowie Rumänien und Bulgarien. Doch in Brüssel wird nicht ausgeschlossen, dass es auch hier noch Bewegung geben könnte. Denn ohne deutsche Unterstützung dürfte es den osteuropäischen Staaten nicht gelingen, ihr Anliegen bei den britischen Reformwünschen durchzusetzen. Vor allem Warschau befürchtet, dass sich London mit seinem Wunsch nach Kürzung der Sozialleistungen für EU-Zuwanderer durchsetzen könnte. Das würde die polnischen Gastarbeiter auf der Insel empfindlich treffen. Merkel sei zwar durchaus bereit, dem britischen Kollegen David Cameron entgegenzukommen, sie könnte aber auch einen allzu deutlichen Kahlschlag auf Kosten der Ost-Länder verhindern. Doch dazu müsste diese sich in der Flüchtlingsfrage bewegen. Tatsächlich sind die angeblich so harten Fronten, zwischen die die Bundeskanzlerin heute geraten könnte, also keineswegs so fest gefügt. Dennoch könnte es auf dem EU- Gipfel, so heißt es in Brüssel, noch „ein hartes Stück Arbeit“werden, weil Merkel zumindest zwei besonders entschiedene Gegner noch weich klopfen müsste: Ungarns Premier Orbán und den slowakischen Regierungschef Robert Fico. Die scheinen – zumindest bisher – in keiner Weise kompromissbereit.