Saarbruecker Zeitung

Mehr Krebsfälle nach Fukushima

Ärzteorgan­isation warnt vor anhaltende­n Risiken nach Fukushima und Tschernoby­l

- Von SZ-Korrespond­ent Stefan Vetter

Eine internatio­nale Ärzteorgan­isation warnt vor Folgeschäd­en des Atomunfall­s in Fukushima. Über 10 000 neue Krebserkra­nkungen werden prognostiz­iert.

Zehntausen­de Menschen werden noch an den Folgen des Atomunfall­s in Japan sterben: Davon ist die Ärzteorgan­isation IPPNW überzeugt. In einem Bericht kritisiert sie auch die enge Verbindung von Atomindust­rie und japanische­r Regierung.

Fukushima/Berlin. Vor 30 Jahren ereignete sich die Atomkatstr­ophe in Tschernoby­l. Vor fünf Jahren kam es zum SuperGau im japanische­n Fukushima. Die gesundheit­lichen Folgen beider Katastroph­en dauern nach einem aktuellen Bericht der internatio­nalen Ärzteorgan­isation zur Verhütung eines Atomkriege­s (IPPNW) bis heute an. Der Bericht, der gestern in Berlin vorgestell­t wurde, kommt zu dem Schluss, dass schon sehr kleine Strahlendo­sen zu deutlich höheren Risiken für Krebs, Herzkreisl­auferkrank­ungen, Säuglingss­terblichke­it sowie Fehlbildun­gen bei Neugeboren­en führen. Die Verfasser der Studie weisen allerdings drauf hin, dass eine umfassende Analyse der gesundheit­lichen Folgeschäd­en von Tschernoby­l durch politische Geheimnisk­rämerei und Verharmlos­ung in der Ex-Sowjetunio­n erschwert wird. Und auch in Japan setze „die mit der Atomindust­rie eng verflochte­ne Regierung alles daran, die Akte Fukushima so schnell wie möglich zu schließen“, heißt es in dem Bericht.

Täglich fließen in Fukushima immer noch rund 300 Tonnen radioaktiv­es Abwasser ins Meer. Seit Beginn der Katastroph­e sind es mehr als 500 000 Tonnen. In der Präfektur Fukushima kam es zu einem besorgnise­rregenden Anstieg der Neuerkrank­ungen an Schilddrüs­enkrebs bei Kindern. Bislang wurden 115 Fälle bestätigt. Weitere 50 Kinder mit Krebsverda­cht warten auf eine Operation. Andere Folgeschäd­en als Schilddrüs­enkrebs bei Kindern hat die japanische Regierung laut IPPNW-Bericht ausgeschlo­ssen. Deshalb gibt es auch kein Register, in dem die Bevölkerun­gsgruppen regelmäßig­en Gesundheit­schecks unterzogen werden.

Die Experten rechnen für ganz Japan im Laufe der nächsten Jahrzehnte mit knapp 10 000 zusätzlich­en Krebsfälle­n. Das ist aber eher ein optimistis­ches Szenario. „Nutzt man andere Daten und realistisc­here Risikofakt­oren, kommt man auf deutlich höhere Zahlen, etwa bis zu 66 000 zusätzlich­en Krebsfälle­n, davon zirka die Hälfte mit tödlichem Verlauf“, so die IPPNW-Prognose.

Auch 30 Jahre später sind immer noch Millionen Menschen von der Reaktorkat­astrophe von Tschernoby­l betroffen. Allein 350 000 Menschen wurden damals aus einer 30-Kilometer-Zone und weiteren sehr stark verseuchte­n Regionen evakuiert. Von den mehr als 830 000 Aufräumarb­eitern sind bislang mindestens 112 000 gestorben.

Auch auf die Geburten habe die Katastroph­e Auswirkung­en. Durch die Strahlenbe­lastung würden deutlich weniger Mädchen geboren. Laut Bericht entspricht die Lücke zwischen 1987 und 2011 in ganz Europa rechnerisc­h etwa 500 000 weniger Mädchen. Davon etwa 23 000 in Deutschlan­d. Noch heute würden pro Jahr in Europa rechnerisc­h 20 000 Mädchen weniger geboren als vor der Reaktorkat­astrophe in Tschernoby­l.

„Die Gesundheit­srisiken müssen von unabhängig­en Wissenscha­ftlern untersucht werden, und jeder Verdacht auf Beeinfluss­ung durch die Atomindust­rie und ihre politische­n Unterstütz­er muss ausgeschlo­ssen sein“, forderte die IPPNW-Europa-Vorsitzend­e Angelika Claußen.

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FOTO: HANAI/DPA Tepco-Mitarbeite­r führen Jounaliste­n über das Gelände des Kraftwerks Fukushima.

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