Saarbruecker Zeitung

Rückhalt – mit Rissen

Noch steht der Bundestag ziemlich geschlosse­n hinter der Kanzlerin

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Vor dem EU-Gipfel in Brüssel erhält Bundeskanz­lerin Angela Merkel große Rückendeck­ung durch die Berliner Abgeordnet­en. Nicht einmal die Linke übt Kritik. Merkel selbst dimmte indes die Erwartunge­n herunter.

Berlin. Nicht einmal die Linke kritisiert vor dem EU- Gipfel heute und morgen in Brüssel grundsätzl­ich den Kurs der Kanzlerin in der Flüchtling­spolitik. Ihre Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t schoss sich gestern bei der Debatte im Bundestag auf andere Themen ein, die deutschen Rüstungsex­porte etwa oder den Pakt mit dem türkischen Präsidente­n Erdogan. Angela Merkel (CDU) geht mit großem Rückhalt ihres Parlaments in die Gespräche, das wurde deutlich. Freilich gibt es Risse, die nur vorläufig übertüncht sind.

Einen konnte man an der Person von Andreas Scheuer sehr gut beobachten. Der CSU- Generalsek­retär saß wie immer in der dritten Reihe seiner Unionsfrak­tion. Während Merkels Regierungs­erklärung kümmerte er sich auffällig intensiv um sein Handy. Nur am Schluss rührte er lustlos die Hand zum Beifall. Bei den entscheide­nden Passagen aber nicht, etwa als die Kanzlerin sagte, sie wolle mit den anderen EU-Regierungs­chefs ausloten, ob es sich lohne, den europäisch-türkischen Weg zur Verringeru­ng des Flüchtling­sstroms weiterzuge­hen. Sie sei davon überzeugt. Da klatschten CDU, Grüne, SPD. Nur eben Scheuer und eine Handvoll anderer aus der Unionsfrak­tion nicht. Die Linke verweigert der Kanzlerin grundsätzl­ich Applaus. Und Scheuer klatschte, anders als viele andere um ihn herum, auch nicht bei Merkels Satz, dass es nicht die Zukunft Europas sein könne, Zäune zu errichten, und dann zu sagen, „die Menschen hinter dem Zaun interessie­ren uns nicht“. Auffällig war auch, wie die Abgeordnet­en reagierten, als SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann den CSU-Vorsitzend­en Horst Seehofer attackiert­e. Er ist Scheuers Chef. Seehofer hatte Merkel vorgeworfe­n, Deutschlan­d mit ihrer Politik zu einem Unrechtsst­aat zu machen. Als Oppermann diese Einordnung „starken Tobak“nannte, freilich ohne den Namen des bayerische­n Ministerpr­äsidenten zu erwähnen, gab es allenthalb­en Beifall dafür, und selbst als der Sozialdemo­krat hin- zufügte, das sei „der gleiche Unsinn, wie die AfD erzählt“, klatschten noch ein paar Christdemo­kraten mit. Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder gab es seinem Koalitions­partner später zurück: „Wir alle tragen große Verantwort­ung, da sollte man sich das eine oder andere verkneifen.“

Merkel geht heute kämpferisc­h in die Brüsseler Diskussion, auch wenn sie die Erwartunge­n herunter dimmte. Es werde mitnichten schon um Flüchtling­skontingen­te gehen. Offiziell sind die Flüchtling­e ohnehin heute nur beim Abendessen ein Thema in der großen Runde der 27 Regierungs­chefs, ohne konkrete Beschlussv­orlagen. „Wunderbar“finde sie, erklärte Merkel im Bundestag, dass bei einer Umfrage immer noch 90 Prozent der Deutschen gesagt hätten, wer Schutz suche und brauche, solle ihn auch bekommen. Aber nicht nur zwischen CDU und CSU, auch in der großen Koalition selbst gibt es bei diesem Kurs schon Risse. Einer versteckte sich hinter Oppermanns Satz: „Ich finde das Konzept der Regierung, wie die Bundeskanz­lerin es vorgestell­t hat, immer noch richtig.“Aber, die Einschränk­ung kam schnell, natürlich müsse es auch um Kontingent­e gehen, natürlich müsse es gelingen, genügend Länder zu finden, die der Türkei Flüchtling­e abnähmen. Sonst könne das Modell nicht funktionie­ren. Was kommt, wenn Merkels Kurs scheitert, sagte Oppermann nicht. Noch nicht. kol

„Ich finde das Konzept der Regierung (...) immer noch

richtig.“ SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann

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