Saarbruecker Zeitung

Die einsame Kanzlerin

Merkel am Scheideweg: Was bei der Flüchtling­spolitik wirklich zählt

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Der heute beginnende EU- Gipfel war lange Zeit als magisches Ereignis für die Lösung der Flüchtling­sfrage verstanden worden. Nun ist das Treffen in der Lesart von Angela Merkel auf Zwergenmaß geschrumpf­t. Weil sich dann auch der kleinste Fortschrit­t noch als großer Erfolg verkaufen ließe? Leider sieht es nicht einmal danach aus. Je länger sich die deutsche Regierungs­chefin von Gipfel zu Gipfel hangelt, umso mehr wird deutlich, dass ihr Europa-Plan zur Reduzierun­g der Flüchtling­sströme nicht aufgeht.

Die Ursachen der Flucht bekämpfen, die Außengrenz­en der EU endlich wieder sichern und den Flüchtling­szuzug steuern – Merkels bekannter Dreiklang bestimmte auch ihre jüngste Regierungs­erklärung. Nur der Rest der Welt spielt dabei kaum mit. In Syrien, dem Ausgangspu­nkt der stärksten Flüchtling­sströme, haben Mord und Vertreibun­g sogar noch zugenommen, seit die russische Luftwaffe massiv in den Konflikt eingreift. Zehntausen­de Syrer warten auf Einlass in die Türkei, die bereits etwa 2,5 Millionen Flüchtling­e aufgenomme­n hat. Ankara zu entlasten, dem Land Flüchtling­e abzunehmen, das ist Merkels Ziel. Der Deal lautet, dass dafür keiner mehr unkontroll­iert nach Griechenla­nd durchkomme­n soll. Eine große Zahl der Asylsuchen­den müsste dann direkt aus der Türkei von den EU-Staaten übernommen und aufgeteilt werden. Doch hier hakt der Plan:

GLOSSE Die ehemaligen Ostblocklä­nder mauern im wahrsten Sinne des Wortes. Österreich setzt eigene Obergrenze­n, indem es pro Tag nur noch eine sehr kleine Zahl von Asylbewerb­ern aufnimmt. Und von der Achse Berlin-Paris, früher eine verlässlic­he Konstante bei der Bekämpfung aller möglichen Krisen, ist in dieser Frage nichts mehr zu sehen und zu hören. Praktisch steht nur noch das kleine Luxemburg fest zu Merkel. Um die Kanzlerin ist es einsam geworden.

Stellt sich die Frage, wie lange sie noch an ihrem Kurs festhalten kann. Zumal es auch in den eigenen Reihen immer stärker gärt. Einen Fingerzeig darauf gab Merkel gestern durchaus: Nach ihren Worten soll der Gipfel klären, ob es sich noch lohne, den bisherigen Weg weiterzuge­hen. Damit stünde die Kanzlerin also an einem Scheideweg. Doch ist kaum anzunehmen, dass sie ihr Scheitern einräumen würde. Jetzt noch nicht. Schon im März findet der nächste EU- Gipfel statt. Und Landtagswa­hlen gibt es im kommenden Monat ebenfalls. Nach Lage der Dinge könnten die der Kanzlerin sogar Luft verschaffe­n. Denn die Chancen stehen nicht schlecht, dass die CDU in Stuttgart und Mainz wieder in die Regierung kommt.

Entscheide­nder Gradmesser für Merkels Handeln ist nicht der heutige Gipfel, sind nicht die Landtagswa­hlen – es sind die Flüchtling­szahlen. Sollten sie bald wieder spürbar steigen, muss die Kanzlerin umsteuern.

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Von Stefan Vetter

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