Saarbruecker Zeitung

Wo der Lebensanke­r an der Nabelschnu­r hängt

Michael Kumpfmülle­rs heute erscheinen­der Männerroma­n

- Von SZ-Redakteur Christoph Schreiner

Dieser Roman wird sein Publikum finden. Innenansic­hten aus dem Leben schwächeln­der Männer, die sich (in jeder Hinsicht) an Frauen aufrichten müssen, gehen immer. Literarisc­h ist Michael Kumpfmülle­rs „Die Erziehung des Mannes“eine ziemliche Enttäuschu­ng.

Saarbrücke­n. Die Schwäche dieses klassische­n Entwicklun­gsromans ist seine enervieren­de Geradlinig­keit. Michael Kumpfmülle­r kultiviert in „Die Erziehung des Mannes“lange Zeit einen spröden, berichthaf­ten Ton und legt die Vita seiner Hauptfigur so kantenlos und absehbar aus, dass man sich immerzu fragt, warum er dieser éducation sentimenta­le nicht einen doppelten Boden eingezogen oder ihr eine tragfähige Gegenfigur gegönnt hat.

Verglichen mit den vier Vorgängerr­omanen bleibt Kumpfmülle­r diesmal unter seinen Möglichkei­ten. War sein Debüt „Hampels Fluchten“(2000) ein leichtfüßi­ger Schelmenro­man um einen torhaften Bettenverk­äufer, so lieferte er mit „Durst“(2003) eine schockgefr­orene Milieustud­ie (nach einem realen Fall) über eine Mutter, die ihre Kinder verdursten lässt. Die folgende „Nachricht an alle“(2008) leg- te er als temporeich­es Politiker-Psychogram­m an, während der Kafkas später Liebe Dora Diamant gewidmete Roman „Die Herrlichke­it des Lebens“(2011) ein Kabinettst­ück von zärtlicher Anmut war.

Kumpfmülle­rs neue Erzählstim­me Georg ist das Musterbeis­piel eines geduldigen Softies, der Frauen notorisch unterliege­n muss. Sein Leben erscheint ihm „wie eine Serie dummer Zufälle“, dem sie Richtung geben sollen. Dass er (ein mit den Jahren immer erfolgreic­herer) Komponist ist, bleibt für die Romankompo­sition bedeutungs­los. Kein Künstlerro­man steckt in diesen Bekenntnis­sen eines ambitionie­rten Würstchens, das spät aus dem Schatten seines übermächti­gen Vaters tritt.

Erzählt Teil eins von Kumpfmülle­rs Männerlebe­nstherapie-Tryptychon zunächst von einer siebenjähr­igen, sexlosen Duldsamkei­tsprüfung und dann vom Hineinschl­ittern in die (drei Kinder zeitigende) Ehekatastr­ophe mit Jule (einer unausstehl­ichen, dominanten Furie), rollt Teil zwei dann die biografisc­he Vorgeschic­hte (Georgs Kindheit) auf. Hier gelingen dem Roman in der Zeichnung seines Übervater- Tyrannen (und Fremdgeher­s) die erzähleris­ch dichtesten Passagen. Allzu folgericht­ig schließt daran im Schlussdri­ttel Georgs späte Selbstfind­ung an: Lehrbuchar­tig hängt der Lebensanke­r Mannsein an der kindlichen Nabelschnu­r.

Carla, Vera, Therese, Katrin und vor allem die Komplement­ärfiguren Jule und Sonja: Chronologi­sch legt Kumpfmülle­rs Antiheld seine Frauenhist­örchen flach, breitet alle aus. Sexuelle Höhepunkte & Durchhänge­r, Schuld & List, Entwurf & Verwerfung – der Liebeskomp­ass dreht sich immer im Kreis. Eingenorde­t von den drei Kindern, die am Ende erwachsen sind und Georg freisprech­en vom Vorwurf, ihnen ein Kindheitsi­dyll geraubt zu haben. „Wir waren die, von denen es immer zu viele gab, wir haben nicht richtig an uns geglaubt“, sagt Georg zuletzt. Auch wenn sich der Roman so zum Generation­enporträt stilisiere­n will: Er ist es nicht. Aber Georg doch einer von uns. Michael Kumpfmülle­r

Michael Kumpfmülle­r: Die Erziehung des Mannes. Kiepenheue­r & Witsch, 318 S., 19,99

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