Wie macht er das bloß . . .
Ein atemberaubender Lese-Abend mit Christian Brückner im Filmhaus
Er durchdringt Texte, lässt auch eigentlich Altes taufrisch klingen: Christian Brückner leiht seit einem halben Jahrhundert Literatur und Filmen seine Stimme. Er gehört zu den Besten. Das erlebte man auch am Dienstag und Mittwoch bei seiner Joseph-Roth-Lesung im Filmhaus.
Saarbrücken. Wie macht er das bloß? Das fragt man sich im Laufe des Abends immer wieder, wenn vor einem Christian Brückner im Filmhaus am Sprecherpult steht. Über zwei Stunden am Stück liest er aus „Die Rebellion“, vielmehr: gibt er dem Erzähler Joseph Roth (1894 – 1939) und seinen Figuren eine Stimme. Nicht einmal macht er eine Pause, nicht einmal räuspert er sich oder greift zu dem Glas mit Wasser, nicht einmal . . . nun gut, einmal höchstens macht er einen Versprecher.
Brückner ist ein Vollprofi. Seit einem halben Jahrhundert spricht der Schauspieler in Filmen synchron. Seine Stimme, die man nicht nur als die von Robert de Niro, auch in Dokumentarfilmen, Literatursendungen im Radio und in Hörbüchern sofort wiedererkennt, scheint – noch so ein Rätsel – überhaupt nicht zu altern. Diesen überraschenden Eindruck gewinnt man auch vom Gegenstand seiner Lektüre: Roths Roman aus dem Jahre 1924 „Die Rebellion“. Dessen Protagonist, ein einbeiniger Wiener Weltkriegs-Invalide, ist seinem Schicksal, Gott, der Welt und der Regierung stets ergeben, bis er in der Tram einen Großbürger auf dem falschen Fuß erwischt und sich wehrt.
All das was Roth hier so scharfsinnig herausfiltert: Angst vor dem sozialen Abstieg, vor dem Zusammenbruch der gewohnten „Ordnung“, Sozialneid, Hass auf vermeintliche „Schmarotzer“– klingt fast, als kenne der die Flüchtlingskrise und Pegida . . . und die Menschen besser als Sigmund Freud.
Brückner durchdringt und gestaltet in Roths Text nicht nur jedes Motiv, sondern jedes Wort. Er steht wie ein Tänzer hinter dem Stehtisch, tänzelt jede Silbe mit dem ganzen Körper, unterstreicht und dirigiert mal mit der Linken, mal mit der Rechten, steckt sie manchmal in der Jeanstasche oder stützt sich auf, als habe er Angst, er hebe sonst ab. Nur in seiner Mimik hält er sich erstaunlich zurück. Die – laut Abendkasse im Filmhaus – exakt 52 Besucherinnen und Besucher folgen seiner Lesung am ersten von zwei Abenden mucksmäuschenstille.
Wie macht er das bloß? Ja, doch, verrät er der SZ später, er bereite sich gründlich vor. „Um die endgültige Form zu finden, die dem Text gerecht wird“, sagt Brückner. Dafür lese er den Text vorher, aber nicht laut, sondern still. „Das dauert so lange, so dass ich nicht auf die Uhr schaue, um nicht mutlos zu werden“.
Veranstalter der beiden Leseabende mit Brückner waren SR2 Kulturradio und die literarische Gesellschaft Meridian.