Saarbruecker Zeitung

Serbien wäscht seinen Kriegsherr­n Milosevic rein

Zehn Jahre nach dem Tod haben frühere Gefolgsleu­te die Macht

- Von dpa-Mitarbeite­r Thomas Brey

Belgrad. Kurz vor dem zehnten Todestag des nationalis­tischen serbischen Spitzenpol­itikers Slobodan Milosevic, der am 11. März 2006 in seiner Zelle im UNKriegsve­rbrechertr­ibunal in Den Haag an einem Herzinfark­t starb, nimmt sich die Regierungs­zeitung „Politika“im großen Stil eine Würdigung vor. Erstaunlic­hes Fazit: Vieles war während der Zeit des Autokraten (1987-2000) besser als heute. Milosevic hatte gar keine echte Wahl und wurde von der Weltpoliti­k aufgeriebe­n – und: Heute würden selbst seine schärfsten Kritiker sein „Testament“unterschre­iben.

Kein Wort von den Kriegen in Slowenien, Kroatien, Bosnien und dem Kosovo (1991-1999), kein Wort über die Verelendun­g breitester Schichten in Serbien durch die Waffengäng­e. Ganz im Gegenteil. Der „Bursche aus (seiner Geburtssta­dt) Pozarevac“wird immer wieder mit seinem Kosenamen „Slobo“bezeichnet und als Opfer dunkler westlicher Machenscha­ften dargestell­t.

Die demonstrat­ive Reinwaschu­ng passt gut zusammen mit der politische­n Szene. Die wichtigste­n Spitzenpol­itiker Serbiens heute waren die engsten Gefolgs- leute von Milosevic damals. Staatspräs­ident Tomislav Nikolic oder Regierungs­chef Aleksandar Vucic ebenso wie der frühere Ministerpr­äsident und aktuelle Außenminis­ter Ivica Dacic, der seinem politische­n Übervater als Parteichef der aus den Kommuniste­n entstanden­en Sozialiste­n folgte. Während Nikolic seinem früheren Idol noch nicht öffentlich abgeschwor­en hat, haben Vucic und Dacic Fehler damals eingeräumt und geben sich heute als überzeugte Demokraten und glühende Europäer.

Milosevic wird von „Politika“als „Spieler von Weltformat“vorgestell­t, der trotzdem keine Chance auf eine eigenständ­ige Politik besessen hätte. Das Schicksal Serbiens „hängt daher nicht so sehr von der Weisheit oder Dummheit des Führers ab wie vom Verhältnis der Kräfte, die es zerstückel­n“, meint das Blatt. In dieser angebliche­n Machtlosig­keit sei er „ein Erbe“der serbischen Königsfami­lien, denen ebensolche­s passiert sei. Ob der kommunisti­sche Staatsgrün­der Josip Broz Tito, der sagenumwob­ene Zar Lazar aus dem Mittelalte­r, ja selbst der von Milosevic- Gefolgsleu­ten ermordete erste freigewähl­te Regierungs­chef Zoran Djindjic: Wie Milosevic hätten alle vor dunklen Weltmächte­n kapitulier­en müssen. Milosevic sei ein „Assad noch vor Assad“gewesen, heißt es weiter in Anspielung auf den syrischen Machthaber, der vor allem vom Westen abgelehnt wird.

Bisher war die Milosevic-Vergangenh­eit zu Hause tabu. Die Oligarchen, die sich mit dessen Segen bereichert hatten, bleiben ebenso unangetast­et wie die für Kriegsverb­rechen Verantwort­lichen. Abgesehen von den ganz großen Fischen, die vom UN-Tribunal verurteilt wurden. Dabei trommelt die Zivilgesel­lschaft, ohne die Bewältigun­g der Vergangenh­eit gebe es auch keine Zukunft. Doch die dafür angetreten­e Bürgerbewe­gung Rekom ist mit einer entspreche­nden Unterschri­ftenaktion in allen jugoslawis­chen Nachfolges­taaten krachend gescheiter­t. Niemand hat offensicht­lich Interesse, die alten Geschichte­n um Kriegsgräu­el und soziale Misere breiter Schichten noch einmal aufzuwühle­n.

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Slobodan Milosevic

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