Saarbruecker Zeitung

Vollversch­leierte beschäftig­t Justiz

Zeugin vorm Landgerich­t München will aus religiösen Gründen ihr Gesicht nicht zeigen

- Von SZ-Redakteur Ulrich Brenner

Darf eine Zeugin vollversch­leiert vor Gericht erscheinen? In München soll eine muslimisch­e Frau den Schleier ablegen, damit der Richter nicht mit einem „schwarzen Tuch“sprechen muss.

München/Hamm. Die Vollversch­leierung von Frauen vor Gericht hat bundesweit Bedenken hervorgeru­fen. Nach einem Fall in Hamm steht nun eine strenggläu­bige Muslima vor dem Landgerich­t München in der Kritik. Sie soll am 17. März erneut als Zeugin in einer Berufungsv­erhandlung aussagen, erklärte eine Gerichtssp­recherin gestern. In erster Instanz hatte sie den Schleier nicht lüften wollen, was beim Amtsrichte­r auf Unverständ­nis stieß. Weder das bayerische Justizmini­sterium noch das Bundesjust­izminister­ium wollten zu dem Fall Stellung nehmen.

In dem Verfahren steht ein Mann vor Gericht, der die Frau beleidigt haben soll. Vom Amtsgerich­t war der Angeklagte im November freigespro­chen worden. Die Zeugin wollte ihr Gesicht auch auf richterlic­he Aufforderu­ng hin nicht zeigen. Die Gerichtssp­recherin sagte, der Amtsrichte­r habe die Glaubwürdi­gkeit der Frau nicht beurteilen können, weil Gesicht und Mimik nicht erkennbar gewesen seien: „Letztlich hat er nur mit einem schwarzen Tuch gesprochen.“Dazu sei gekommen, dass ein zweiter Zeuge die Beleidigun­gen in Richtung der Frau („Arschloch“, „Du gehörst

Das Symbolbild zeigt eine Frau mit einem sogenannte­n Niqab, der den Kopf komplett verhüllt.

MEINUNG

Ob das Kopftuch Zeichen eines fragwürdig­en Frauenbild­es oder vielleicht sogar eines neuen Selbstbewu­sstseins von Musliminne­n ist – darüber kann man trefflich streiten. Fakt ist: Es macht Frauen nicht zur Unperson. Der Vollschlei­er tut das sehr wohl, er verbirgt die Persönlich­keit der Frau. Man mag sein Verbot ablehnen, weil nach unserem Verständni­s je- hier nicht her“) nicht gehört haben will. Damit habe Aussage gegen Aussage gestanden. Der Richter habe daher den Angeklagte­n freigespro­chen. Die Staatsanwa­ltschaft legte gegen den Freispruch Berufung ein.

Die Gerichtssp­recherin sagte, Richter könnten Zeugen wegen unangemess­ener Kleidung auch zu einem Ordnungsge­ld verurteile­n, weil sie damit ihrer Zeugenpfli­cht nicht nachkommen. In diesem Fall sei es aber um eine „Geldstrafe im unteren Bereich“gegangen. Der Richter habe wegen der Verhältnis­mäßigkeit von einer Strafe für die Frau abgesehen. Sollte sie am 17. März noch einmal mit Vollschlei­er erscheinen, liege es wieder im Ermessen des Richters, wie er damit umgehe.

Wegen eines vergleichb­aren Falls vor einem Jugendschö­ffengerich­t verfasste die Hammer Generalsta­atsanwälti­n Petra Hermes vor einer Woche ein Schreiben. Darin bittet sie ihre Amtskolleg­en in Deutschlan­d um Mitteilung, ob es bei ihnen gleicharti­ge Fälle gegeben habe. Nach vorläufige­r Bewertung von Hermes hindert die Vollversch­leierung ein Gericht daran, die Identität und Verhandlun­gsfähigkei­t von Angeklagte­n und Zeuginnen festzustel­len, so wie es in der Strafproze­ssordnung vorgesehen sei. Die Abwägung zwischen Religionsf­reiheit und Rechtsstaa­tsprinzip dürfte in der Regel zugunsten des Letzteren ausfallen, so Hermes. epd/kna

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FOTO: DPA/ENDIG

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