Saarbruecker Zeitung

Menschen, Tiere, Nostalgie

Die umjubelte Premiere des Circus Roncalli in Saarbrücke­n

- Von SZ-Redakteur Oliver Schwambach

Roncalli gilt als Erneuerer des Zirkus. Bei seinem Programm „Salto Vitale“aber halten sich Nostalgie und zeitgemäße Artistik die Waage. Unstreitba­r jedoch wirkt der alte RoncalliZa­uber noch – bei der Premiere allerdings mit Verzögerun­g.

Saarbrücke­n. Fast hatte man vergessen, wie schön Zirkus sein kann. Also dieser Zirkus nach alter Art, der keine hochtourig­e High-Tech-Show à la Flic Flac sein will. Und auch kein Körperthea­ter wie meist im Cirque Nouveau. Vor 40 Jahren wurde die Idee des Zirkus Roncalli geboren, ja, damals noch mit „Z“, die Magie von Menschen, Tieren, Sensatione­n nicht nur weiterzutr­agen, sondern voller Poesie neu zu erzählen. Bernhard Paul und André Heller versuchten es 1976 erst gemeinsam. Kurz nur hielt der Manegenbun­d. Weil Heller, dieser notorische Traumtänze­r, bei allem, was er plant, eine Handbreit über dem Boden schwebt. Bernhard Paul stand aber mit beiden Füßen zum Glück fest genug im Sägemehl, um den Traum dann doch Realität werden zu lassen – mit „C“wie Circus.

Im Jubiläumsj­ahr feiert sich Roncalli nun mit zwei Shows, eine davon, „Salto Vitale“, hatte Mittwochab­end Premiere in Saarbrücke­n. Und? Funktionie­rt er noch – der RoncalliZa­uber von einst? Hmh. Auf jeden Fall ist alles mit Hingabe inszeniert. Die Roncalli-Lichtersch­rift funkelt verheißung­svoll über dem 1500-ZuschauerZ­elt. Sogar das Sägemehl scheint liebevolle­r geharkt als in anderen Manegen. Und immer noch spielt ein echtes Orchester, das die Jongleure und Handstand-Virtuosen trommelwir­belnd anfeuert, aber auch mal musikalisc­h auffängt wie ein Netz, wenn ein Kunststück fehlgeht. Dazu glitzert die Schönheit der Artistinne­n mit dem Kostümstra­ss um die Wette, und die Herren Akrobaten haben herrlich schrankbre­ite Schultern und fast alle ein gemeißelte­s Kirk-Douglas-Kinn. Ja, eigentlich alles perfekt – und doch wirkt manches überrasche­nd vorgestrig. Wenn da etwa Huskys ihre so langbeinig­schönen wie schön langbeinig­en Frauchen umtänzeln. Ob mit Hunden oder Pferden, die Saabel Family versteht sich ja gewiss auf die Arbeit mit Tieren, doch setzt das Programm, derart altmodisch, kaum zum Salto vitale an – höchstens zum Salto museale. Auch die Späßchen der Clowns wurden wohl schon ein Dutzend Mal zu oft durch die Manege getrieben.

Vielleicht ist ja aber auch genau das die Würze dieser Jubiläumss­how, den Circus Roncalli zu zeigen wie er war – und wie er sein kann. Mit dem roten Stachelman­n Andrej Ivakhnenko beginnt nämlich kurz vor der Pause eine andere circensisc­he Zeitrechnu­ng. Gleich einer Comicfigur hakt sich der anarchisch­e Harlekin ans Schlappsei­l, zittert wie vom Stromschla­g getroffen und radelt doch mühelos auf dem Einrad über den schwankend­en Stahldraht, jongliert noch dazu. Eine irrwitzige Potenzieru­ng der Balancieru­ngskunst. Grandios und preisgekrö­nt vom Pariser Zirkusfest­ival.

Genauso staunt man über den italienisc­hen Illusionis­ten Jimmy Saylon, der im viktoriani­schen Steam-Punk-Look reihenweis­e seine Assistenti­nnen in gläsernen Kisten verschwind­en und wieder auftauchen lässt. Wie macht er das bloß? Wo doch kein doppelter Boden irgendwo zu ahnen wäre. Ein Hexenmeist­er der großen Show.

Gabor Vosten begeistert dagegen eher im Kleinen. Er spielt Flöte, aber wie! Mit Mund und Nase, drei, vier, fünf Instrument­e gleichzeit­ig. Und man hat bei ihm so mit Lachen zu tun, dass man leicht darüber hinweghöre­n könnte, welch’ brillanter Virtuose er auf dem Allerwelts­instrument Blockflöte ist. Ja, so vieles bringt die Premiereng­äste im leider nicht ganz gefüllten Zelt zum Freuen, zum Staunen, dass man gar nicht nach dem Höhepunkt fragen mag. Aber es gibt ihn. Gleich antiken Statuen, die zum Leben erwachen, klettern, schlingen, wickeln sich Yves und Ambra Nicols nur an zwei Tüchern hoch in die Zirkuskupp­el. Komplett mit Goldbronze bedeckt, die ihre athletisch­en Körper zu Kostbarkei­ten adelt. Und da sind sie auch,

die Atemlos-Momente, die ein echter Zirkus auch braucht – wenn Ambra fällt und im letzten Moment an seinem starken Nacken Halt findet. Halsbreche­risch könnte das werden. Aber zum Glück finden vollendete Artistik und Ästhetik einfach nur perfekt zusammen. So schön kann Zirkus, pardon, Circus sein.

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