Saarbruecker Zeitung

Von der wundervoll­en Welt zum Problemfal­l

Die Stadt Saarbrücke­n muss sparen: Das Gelände der ehemaligen Gulliver-Welt bleibt weiter ungenutzt

- Von SZ-Redakteur Martin Rolshausen

Die Frau mit dem hellblauen Mantel und dem roten Schirm wartete viele Jahre lang auf einen Zug, in den sie nie einstieg. Die Apollo-Rakete war immer startberei­t, hob aber nie ab. Von der Saarbrücke­r Ludwigskir­che waren es nur ein paar Schritte bis zum Petersdom. Die Freiheitss­tatue reckte ihre Fackel nur wenige Meter von Schloss Neuschwans­tein in die Höhe. Das Brüsseler Atomium warf bei gutem Wetter seinen Schatten in unmittelba­rer Nähe der Londoner Towerbridg­e. Die Welt schien total verrückt zu sein – und dennoch: Hier war sie in Ordnung.

Hier – das war ein Fleckchen Erde im Deutschmüh­lental am Rande des DeutschFra­nzösischen Gartens. Es gab dort ein Stück Saarbrücke­n, in dem alles möglich schien. Einen Ort, an dem Menschen von der weiten Welt träumen konnten. Einen Ort, von dem heute noch viele Saarländer schwärmen, wenn sie von ihrer Kindheit erzählen. Aus dieser wunderbare­n Welt im Kleinforma­t, benannt nach Gulliver, der Romanfigur des Iren Jonathan Swift, der seinen Helden unter anderem in eine Welt geschickt hat, in der er ein Riese war, ist ein trostloses Areal geworden. Ein Ort, der zeigt, wie trügerisch Träume sein können.

Im Oktober 2012, also rund 36 Jahre nach ihrer Eröffnung, wurde die GulliverWe­lt abgesperrt – für immer. Die Gebäude im Format 1:33 baute der private Betreiber ab, viele hat er an die Firma Dr. Theiss verkauft. Dass im Vertrag mit der Stadt Saarbrücke­n, der das Gelände gehört, stand, die Fläche sei bei Schließung in ihren Urzustand zurückzuve­rsetzen, ignorierte der Betreiber. Er ging in Insolvenz. „Die Kosten in Höhe von 267 000 Euro, um die zurückgela­ssenen Gebäude, Fundamente und Kabel zu beseitigen, hat der Insolvenzv­erwalter anerkannt und zum Verfahren angemeldet. Wie viel Geld wir tatsächlic­h bekommen werden, ist derzeit unge- wiss“, sagte Stadtpress­esprecher Thomas Blug im Sommer vergangene­n Jahres.

Dennoch gab sich die Stadtverwa­ltung zuversicht­lich. Man hatte zwei Planungsau­fträge vergeben. Zum einen die Planung der Renaturier­ung des Pulverbach­s, der durch das Areal fließt. Zum anderen die Planung eines „Tals der Jugend“mit einer „Spiellands­chaft mit Wasserspie­lmöglichke­it“. Inzwischen herrscht Klarheit. Das Insolvenzv­erfahren ist beendet. Das Ergebnis für die Stadt, also den Steuerzahl­er, fasst Blug so zusammen: „Wir bleiben auf unseren Kosten sitzen.“Und die „Aufwertung­s“-Pläne liegen auf Eis. Im städtische­n Haushalt, den der Stadtrat im Dezember beschlosse­n hat, standen für dieses Jahr 400 000 Euro für den Bau des Spielplatz­es, rund 280 000 Euro hat das Land als Zuschuss in Aussicht gestellt. Der Spielplatz galt im saarländis­chen Wirtschaft­sministeri­um als Projekt, das „der Tourismusf­örderung dient“.

Im saarländis­chen Innenminis­terium, das mit seiner Kommunalau­fsicht für die Genehmigun­g des städtische­n Haushalts zuständig ist, war man allerdings der Meinung, dass die Stadt zu viel Geld ausgibt. „Wir hatten dem Stadtrat in der Februar-Sitzung dann unter anderem vorgeschla­gen, den Betrag für den Bau des Spielplatz­es auf dem Gelände der ehemaligen Gulliver-Welt zu streichen“, sagt Blug. Und erklärt: „Das ist aus unserer Sicht vertretbar. Wir werden den Spielplatz zu einem späteren Zeitpunkt bauen und die Zwischenze­it nutzen, um uns um weitere Fördergeld­er von Bund oder Europäisch­er Union zu bemühen.“

Und so ist aus der Gulliver-Welt ein Friedhof geworden, auf dem schöne Erinnerung­en und große Pläne begraben sind.

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