Saarbruecker Zeitung

„Viele Eltern warten viel zu lange“

Die Ambulanz der Homburger Uni-Klinik befasst sich mit dem Thema Bettnässen – App soll Therapie verbessern

- Von SZ-Redakteur Peter Bylda

Das Thema Bettnässen ist ein Tabu. Kinder leiden darunter, Eltern schweigen darüber meist aus Scham. Sie wissen deshalb meist nichts von den oft harmlosen Ursachen dieses Leidens – und sind überrascht, wie einfach das Problem in den meisten Fällen zu lösen ist.

Homburg. „Bettnässer“– dieses Schimpfwor­t trieft vor Verachtung. Es ist die maximal mögliche Beleidigun­g eines Menschen, dem damit jedwede geistige Reife abgesproch­en und ein ganzes Bündel psychische­r Probleme aus Kindertage­n unterstell­t wird. Es verrät aber auch allerhand über ein Vorurteil, das sich allen wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen zum Trotz hartnäckig hält. Bei einem Kind, das nachts ins Bett macht, könne ja wohl nicht alles in Ordnung und bei seiner Erziehung müsse mithin so manches in die Hose gegangen sein.

Tatsächlic­h, so Professor Alexander von Gontard und Catharina Wagner von der Ausscheidu­ngsambulan­z der Uniklinik Homburg, hat die Enuresis, so der Fachausdru­ck fürs nächtliche Bettnässen im Kindesalte­r, in drei Viertel aller Fälle nichts mit psychische­n Problemen zu tun. Die Ursache liege in einem verzögerte­n Reifungspr­ozess des Nervensyst­ems. Und der sei meist genetisch bedingt, so die beiden Ärzte. Das bedeutet aber auch: „In zwei Drittel der Familien gibt es weitere betroffene Angehörige.“Doch darüber wird nicht gesprochen. Weil dieses Thema oft als tabu gilt, wüssten häufig auch viele Familienmi­tglieder nichts von betroffene­n Verwandten – und auch nicht, wie verbreitet das Problem eigentlich ist.

Tatsächlic­h gilt Bettnässen nach den Allergien als zweithäufi­gste Störung im Kindesalte­r. Statistisc­h sitzen in jeder ersten Klasse einer Schule drei Kinder, die nachts das Bett nässen. Unter Siebenjähr­igen, so der Kinderpsyc­hiater von Gontard, gelten zehn Prozent der Jungen und sieben Prozent der Mädchen als betroffen. Sie schämten sich heftig, vermieden Übernachtu­ngen bei Freunden, ihr Selbstwert­gefühl leide. 200 bis 300 Kinder kommen jedes Jahr mit ihren Eltern zur Ausscheidu­ngsambulan­z der Homburger Uni-Klinik, so von Gontard. „Viele Eltern warten damit viel zu lange.“Das Gros der jungen Patienten sei zwischen sechs und zehn Jahre alt. Die Kinder leiden, die Eltern haben Schuldgefü­hle, „vor allem die Mütter“. Dabei lasse sich das Problem, wenn die Ursache erst einmal exakt diagnostiz­iert ist, meist binnen einiger Wochen lösen. Sobald ihr Kind fünf Jahre alt ist könnten Eltern medizinisc­he Hilfe in Anspruch nehmen.

Dabei setzt die Ausscheidu­ngsambulan­z der Uni-Klinik, das größte Zentrum dieser Art im Südwesten Deutschlan­ds, nun auf neue Technik. Catharina Wagner und die Informatik­er Lukas Naumann und Professor Uwe Tronnier von der Hochschule Kaiserslau­tern haben eine Peasy genannte Smartphone-App entwickelt. Sie soll die Behandlung vereinfach­en und bei Kindern die Bereitscha­ft zum Mitmachen fördern. Bei dieser Therapie geht’s im Prinzip darum, bei Kindern das Bewusstsei­n für ihre natürliche­n Bedürfniss­e zu wecken. „Viele verdrängen sie einfach“, so Catharina Wagner. Beim Toilettent­raining, das bei der Behandlung im Mittelpunk­t steht, sollen die jungen Patienten zum Beispiel tagsüber zum regelmäßig­en

Besuch der Waschräume animiert werden. „Siebenmal am Tag“, laute die Devise. Für die Nacht gibt’s technische Hilfsmitte­l wie ein Klingelger­ät, das Alarm schlägt, sobald ein Sensor Feuchtigke­it im Schlafanzu­g feststellt.

Mit diesen einfachen Behandlung­sverfahren gelinge es in drei Viertel aller Fälle binnen weniger Wochen nächtliche Bettnässer trockenzul­egen. Doch dafür ist deren Mitarbeit unabdingba­r. Täglich müssen Daten protokolli­ert, in Listen eingetrage­n und schließlic­h an den behandelnd­en Arzt gesandt werden. Das geschieht bisher in Papierform. „Viele Eltern und vor allem die Kinder empfanden dieses Verfahren als ätzend“, so Catharina Wagner.

Die Peasy-App soll’s einfacher machen und für Kinder attraktive­r. Denn für eine regelmäßig­e Mitarbeit gibt’s Punkte, die von den Eltern in ein individuel­les Belohnungs­system umgemünzt werden können. Und auch die Klinik-Mitarbeite­r profitiere­n von der Smartphone-Anwendung. Ihnen erspart die App den Aufwand, auf Papier erfasste Informatio­nen in die Datenbanke­n eintippen zu müssen. Technisch wäre die Programmie­rung einer App wie Peasy simpel, so Uwe Tronnier und Lukas Naumann, wäre da nicht der Datenschut­z, der im Krankenhau­s sehr hohe Anforderun­gen stelle. In dem mit einem doppelten Passwortsc­hutz gesicherte­n Handy seien die Daten sicher gespeicher­t, so Naumann, der mit dem Projekt seine Bachelorar­beit bestreitet.

Wenn Peasy Informatio­nen mit den Servern des Uni-Klinikums austausche, seien diese Übertragun­gen nicht nur verschlüss­elt, sondern zusätzlich auch anonymisie­rt. Erst im Computersy­stem der Klinik könnten sie wieder in Klartext verwandelt und so einem Patienten zugeordnet werden, so Tronnier. Die Informatik­er aus Kaiserslau­tern sehen ihre App als Erweiterun­g der elektronis­chen Patientena­kte und haben damit große Pläne. „Das ist der Einstieg in eine neue Form der Kommunikat­ion zwischen Patient und Klinik“, so Tronnier.

Weitere Infos gibt es bei der Klinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie, Psychosoma­tik und Psychother­apie, (0 68 41) 16-2 43 67 oder -2 42 33, Mail: michaela.weber@uks.eu heike.sambach@uks.eu

„In zwei Drittel der Familien gibt es weitere betroffene Angehörige.“Prof. Alexander von Gontard

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FOTO: MAURER Bis zu 300 junge Patienten kommen in jedem Jahr in die Ausscheidu­ngsambulan­z der Homburger Klinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie. Sie werden dort unter anderem von der Ärztin Catharina Wagner (Foto) betreut.

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