Der durchleuchtete Fluggast
Europa bekommt eigenes System zur Erfassung von Passagier-Daten – EU-Parlament stimmt unter dem Eindruck der jüngsten Anschläge zu
Der Streit um die Speicherung von Daten aller Fluggäste ist entschieden. In spätestens zwei Jahren werden Passagiere bei Flügen in die EU und aus der EU in Drittstaaten systematisch erfasst. Nach den Anschlägen in Paris und Brüssel stimmte das Europäische Parlament dem System gestern in Straßburg zu. Was kommt nun auf die Fluggäste zu? SZ-Korrespondent Detlef Drewes hat Fragen und Antworten zum Thema zusammengestellt.
Welche Daten werden erfasst? Es handelt sich um bis zu 60 verschiedene Angaben. Dazu gehören Nummer, Ausstellungsort und Geltungsdauer des Reisepasses, alle Informationen über die Buchung im Internet oder im Reisebüro (Name des Sachbearbeiters) sowie den Flug selbst: Sitzplatznummer, Gepäckangaben, Flugroute, Essenswünsche und Flugpreis. Die Behörden interessiert auch, ob nur ein Hin- oder auch ein Rückflug gebucht wurde. Zusätzlich werden RückrufNummern für Notfälle, die Rechnungsadresse sowie alle Angaben zur Person (Namen, Geburtsdatum, Adresse, Mail-Adresse, Geschlecht, Nationalität) erfasst. Gilt dies für alle Flüge? Nein. Betroffen sind zunächst nur Verbindungen von der EU in einen Drittstaat – egal ob es sich um einen Flug in die Schweiz, die Türkei, nach Ägypten oder Indonesien handelt. Mit den USA wurde bereits ein gesondertes Abkommen über die Speicherung von Fluggastdaten abgeschlossen. Eine Vereinbarung mit Kanada liegt derzeit noch auf Eis. Es bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, auf „freiwilliger Basis“auch die Informationen von Passagieren zu erfassen, die Ziele innerhalb der Union anfliegen. Das Gleiche gilt für Charterflüge.
Warum gibt es diese Ausnahmen für Charterflüge? Einige Mitgliedstaaten hatten sich dagegen gewehrt. Großbritannien wollte beispielsweise verhindern, dass die Reisebüros die Daten hätten erheben und weiterleiten müssen, wenn man Charterflüge einbezieht.
Wer erfasst die Informationen und wo werden diese gespeichert? Diese Schlüsselrolle fällt den Fluggesellschaften zu. Denn es handelt sich im Wesentlichen um Angaben, die bei einer Buchung ohnehin verfügbar werden. Sie übermitteln die Angaben an nationale Meldestellen, die sie den entsprechenden Partnern in anderen Mitgliedstaaten zugänglich machen sollen.
Wie lange werden meine Daten gespeichert? Jeder Datensatz wird zunächst für sechs Monate unter dem Namen des Fluggastes abgelegt. Danach anonymisiert das System die Angaben, die Informationen bleiben aber für insgesamt fünf Jahre verfügbar. Dann müssen sie von den Computern gelöscht werden. In der Zwischenzeit ist es aber jederzeit möglich, mit Hilfe einer Genehmigung die entpersonalisierten Angaben wieder zu entschlüsseln.
Wer darf die Daten nutzen? Der Zugang ist eingeschränkt. Zugriff haben lediglich die Geheimdienste der Mitgliedstaaten. Außerdem dürfen die Europäische Polizeibehörde (Europol) in Den Haag und andere europäische Ermittler darauf zugreifen. Das System wird so aufgebaut, dass Fahnder mit Hilfe von Suchbegriffen das System scannen können und Treffer ausgeworfen werden – also eine moderne Form der Rasterfahndung.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat in einem Urteil die verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung in der Union untersagt. Wie passt das mit dem neuen FluggastdatenSystem zusammen? Diese Frage erscheint tatsächlich brisant. Denn wenn der Gerichtshof seiner bisherigen Linie folgt, könnte die Erfassung der Passagierdaten strittig sein. Ob es zu einem Verfahren kommt, ist allerdings offen. Denn dazu müsste ein Mitgliedstaat klagen.
Wann tritt das neue Speichersystem in Kraft? In spätestens zwei Jahren müssen die Mitgliedstaaten ihr nationales Recht angepasst haben. Aber die Terror-Anschläge der vergangenen Monate haben viele aufgeschreckt. In Großbritannien und Frankreich sowie weiteren Ländern gibt es bereits Vorarbeiten, sodass davon auszugehen ist, dass das System schneller an den Start geht.