Saarbruecker Zeitung

Liberale gehen in Angriffsmo­dus

Bundespart­eitag in Berlin: FDP wirft großer Koalition Stillstand vor und attackiert die AfD

- Von SZ-Korrespond­ent Hagen Strauß

So viel Geschlosse­nheit war selten bei der FDP. Die Liberalen sind wieder im Spiel, hieß es auf dem Parteitag in Berlin. Parteichef Christian Lindner sieht schon die Trendwende geschafft.

Berlin. Detlef Parr ist ein liberales Urgestein. Seit über 40 Jahren ist er in der FDP, er saß für die Partei im Bundestag und ist jetzt Vorsitzend­er der liberalen Senioren. Parr hat viele Höhen und Tiefen miterlebt, auch den Absturz bei der Bundestags­wahl 2013. Nun steht er oben auf dem Podium und ruft ins Mikrofon: „Es macht wieder Spaß, FDP-Parteitage zu besuchen!“Freundlich, fröhlich und optimistis­ch gehe es zu, grinst der 73-Jährige – und es klingt ein wenig Verwunderu­ng mit. Was ist nur los mit der FDP?

Man könnte meinen, dass vor allem die Alten ein Problem damit haben, was ihnen an Neuem geboten wird: Die Parteifarb­en Blau und Gelb sind knalliger geworden, Parteitage wie in Berlin finden jetzt in „coolen Locations“statt, also in einer alten Fabrikhall­e. Und viele Delegierte tragen Turnschuhe oder „Sneakers“statt edler Lederschuh­e. Die FDP inszeniert sich als Start-up-Unternehme­n. Das gefällt sogar den Altvordere­n. Denn mit dem neuen Bild und der neuen Richtung ist der Erfolg zurückgeke­hrt. Und nichts ist den Liberalen wichtiger.

„Die FDP hat wieder ihren Platz im Parteiensp­ektrum“, strahlt die frühere Bundesjust­izminister­in Sabine Leutheusse­r-Schnarrenb­erger, auch ein liberales Urgestein. Ganz so ist es aber noch nicht. Zwar war die Partei bei den letzten fünf Landtagswa­hlen erfolgreic­h, in Rheinland-Pfalz ist sie per Ampelkoali­tion sogar an der Regierung beteiligt. Abgerechne­t wird erst 2017 bei der Bundestags­wahl. Die Umfragen sehen die FDP klar über fünf Prozent. Im Moment. Politik ist schnellleb­ig, Übermut wird meist hart bestraft. Die Liberalen können davon ein Lied singen. Also Vorsicht.

„Wir haben uns ein Stück selbst befreit“, erzählt Christian Lindner am Vorabend des Parteitage­s einigen Journalist­en. Neuanfang braucht Veränderun­g, dafür steht Lindner auch ganz persönlich. Dreitage-Bart, brauner Teint, durchtrain­iert, weiße Turnschuhe und lässige Jeans, so sehen heute FDP-Vorsitzend­e aus. Lindner spricht von einer „neuen Souveränit­ät und Ernsthafti­gkeit“der Partei. Auch ist plötzlich von „Demut“die Rede, ein Wort, das früher im Vokabular der Liberalen nicht vorkam. Mit Lindner an der Spitze ist die FDP in die Lücken gestoßen, die ihr andere Parteien scheinbar geboten haben: Bildung und Digitalisi­erung sollen nun der Markenkern sein, Modernität und Zukunftsop­timismus. Früher waren es die Steuer- und die Außenpolit­ik, auf die die FDP gesetzt hat. Zu diesen Themen sagt Lindner nur dann etwas, wenn man ihn danach fragt. Strategisc­h kommt noch etwas hinzu: Mit ihrer Kritik an der Flüchtling­spolitik von Kanzlerin Merkel hat sich die FDP als solide Alternativ­e zu den Rechtspopu­listen positionie­rt. Die Liberalen wollen laut Lindner bei der Bundestags­wahl stärker werden als die AfD. Das sei „eine demokratis­che Pflicht. Wir sind das genaue Gegenteil der AfD. Wir wollen Mut machen, keine Angst verbreiten“, begegnet Parteivize Wolfgang Kubicki dem Vorwurf, mit dieser Zielvorgab­e schon wieder unvorsicht­ig zu werden.

Laut Lindner ist die Trendwende geschafft. In seiner Rede auf dem Parteitag rechnet er vor allem mit Merkel, der Union und der SPD ab. Es werde nur noch ein „aus der Zeit gefallener Koalitions­vertrag“abgearbeit­et. Hinter der Kritik verbirgt sich eine zentrale Botschaft: Die FDP will keine Funktionsp­artei mehr sein, sondern nur noch Überzeugun­gspartei. „Die Zeit der Leihstimme­n ist für uns vorbei“, ruft Lindner.

Ganz schön selbstbewu­sst. Das gilt auch für den neuen Parteislog­an. Als er ihn zum ersten Mal gehört habe, erzählt ein Vorstand, habe er an „Beta-Blocker“gedacht – „Beta Republik Deutschlan­d“, lautet der Slogan. Lindner muss sich viel Zeit nehmen, ihn zu erklären. Das sei die Sprache der Start-ups und der Digitalisi­erung. Dinge zu tun, ohne dass sie gleich perfekt sein müssten, nenne man „Beta“. Zumindest bleibt man damit im Gespräch.

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Energisch: FDP-Chef Lindner will der Partei Mut machen.

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