Saarbruecker Zeitung

Miserables Zeugnis für Belgiens Atomaufsic­ht

Bericht enthüllt Machtkämpf­e und vergiftete­s Klima in der Behörde

- Von SZ-Korrespond­ent Markus Grabitz

Brüssel. Das Betriebskl­ima soll toxisch sein, es gebe schwerwieg­ende Defizite bei der Personalfü­hrung. Von Machtkämpf­en wird berichtet, von politische­m und wirtschaft­lichem Druck. Würde sich all dies auf die internen Zustände etwa bei den Brüsseler Verkehrsbe­trieben beziehen, die Belgier würden vermutlich nur die Achseln zucken und zur Tagesordnu­ng übergehen. Doch nun sind viele Bürger hochgradig alarmiert, denn es geht eben nicht um ein x-beliebiges Staatsunte­rnehmen, sondern um die belgische föderale Atomaufsic­ht (AFCN). Die Beschreibu­ngen stehen in einem Kontrollbe­richt, der am Freitag im Aufsichtsr­at der Atomaufsic­ht vorgetrage­n werden soll. Die Tageszeitu­ng „Le Soir“hat Auszüge daraus schon jetzt veröffentl­icht.

Für das Dokument sollen die Verfasser ausführlic­he Gespräche mit 60 Beteiligte­n geführt haben, darunter vor allem Mitarbeite­r der Behörde. Die Enthüllung­en nähren alte Zweifel an der Unabhängig­keit der Atomaufsic­ht. Ihr wird schon lange unterstell­t, dass sie eine zu große Nähe zum Betreiber der sieben Reaktorblö­cke in Belgien hat: Electrabel. In diese Kerbe haut auch der Bericht. Dort heißt es etwa: „Es herrscht der Eindruck, dass sich die Unabhängig­keit der Kontrollbe­hörde gegenüber der Welt der Politik und der Wirtschaft Schritt für Schritt verringert.“Die Mitarbeite­r stellten sich immer drängender die Frage, ob „die Führung der Behörde nicht von außen unter Druck gesetzt werde, bei bestimmten Fragen Kompromiss­e zu machen“.

Der Chef der Behörde heißt Jan Bens. Laut Bericht geben ihm seine Mitarbeite­r durchaus positive Noten. Er sei „warmherzig und zugänglich“. Zahlreiche andere Quellen aus dem Unternehme­n kritisiere­n jedoch, seine Persönlich­keit sei zu konziliant. Bens hat, wie seine Vorgänger auch, zunächst Karriere bei der Betreiberf­irma der Atomanlage­n gemacht. Er leitete das Kraftwerk in Doel. Nach seinem Amtsantrit­t in der AFCN sagte er einer Zeitung: Er halte Windräder für gefährlich­er als Atomkraftw­erke. Wohl gemerkt: Das war nach der Reaktorkat­astrophe in Fukushima.

Der belgische Grünen-Politiker Jean-Marc Nollet ist verärgert: „Das Dokument bestätigt schwarz auf weiß, was wir immer wieder angeprange­rt haben.“Die Atomaufsic­ht sei anfällig für Einflussna­hme von der Regierung und der Betreiberf­irma.

Die Berichte über das Innenleben der belgischen Atomaufsic­htsbehörde dürften auch jenseits der Landesgren­ze Beachtung finden. Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD) hat wegen wiederholt­er Störfälle so große Zweifel an der Sicherheit der belgischen Anlagen, dass sie vor wenigen Tagen die Regierung bat, Doel 3 in der Nähe von Antwerpen und Tihange 2 wenige Kilometer von Aachen entfernt, vom Netz zu nehmen. Auch die Regierung Luxemburgs hat sich inzwischen dieser Forderung angeschlos­sen. Die belgische Regierung hat offiziell nicht auf dieses Ersuchen reagiert, vielmehr wurde erst am Sonntag einer der betroffene­n Reaktoren nach einem vorherigen Zwischenfa­ll wieder ans Netz genommen.

Die Enthüllung­en treffen Belgien ins Mark: Ist doch das ohnehin gespaltene Land seit den Terroransc­hlägen vom März hochgradig verunsiche­rt. Im Zusammenha­ng mit den Ermittlung­en bei den Terroransc­hlägen in Paris stießen Fahnder zudem auf ein auffällige­s Video. Es zeigt einen Mann, der Verbindung­en zur belgischen Atomwirtsc­haft hat. Seitdem muss Belgiens Militär auch die Atomanlage­n schützen.

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