Saarbruecker Zeitung

Politische Stabilität in Gefahr

Wann viele Parteien im Parlament zum Problem werden können

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Auf dem Papier sind es lustige Namen: Ampel, Kenia, Kiwi. In der Realität aber sind solche Koalitione­n kein Vergnügen. Das BeinaheSch­eitern von Ministerpr­äsident Reiner Haseloff gestern bei seiner Wiederwahl in Sachsen-Anhalt gab einen Vorgeschma­ck auf das, was Deutschlan­d noch öfter blühen kann.

Zwar gibt es überall mal Enttäuscht­e und Spieler, die sich im Dunkeln einer geheimen Wahl austoben. Heide Simonis in Schleswig-Holstein ist so etwas 2005 auch passiert. Neu ist aber, dass sich die politische­n Strukturen stark verändert haben. Noch bis Mitte der 80er Jahre war das Drei-, maximal VierPartei­en-Parlament der Standard. Und die Volksparte­ien CDU oder CSU und SPD waren so groß, dass jede von ihnen entweder allein oder mit einem weiteren kleinen Partner regieren konnte. Und wo das später nicht mehr reichte, weil Grüne und Linke dazugekomm­en waren, bot eine große Koalition immer eine satte Mehrheit. Das ist gründlich vorbei. Schon jetzt gibt es überall, mit Ausnahme von Bayern, Niedersach­sen und dem Bund, Fünf-Parteien-Parlamente und mit der AfD ist die sechste gerade im Anmarsch. Und schon jetzt reicht es für die ehemaligen Volksparte­ien oft nur noch in Dreierbünd­nissen zum Regieren. Dieser Trend wird sich fortsetzen, denn es ist absolut nicht erkennbar, dass die SPD jemals wieder aus dem 20und die CDU wieder aus dem

GLOSSE 30-Prozent-Turm herauskomm­en, von Ausnahmen einmal abgesehen. Eher verläuft der Trend andersheru­m.

Damit gibt es zum einen die Gefahr einer inhaltlich­en Überdehnun­g von Koalitione­n, etwa wenn, wie in Baden-Württember­g, die CDU sogar unter den einst verhassten Grünen als Juniorpart­nerin regieren soll. Oder wenn, wie in Rheinland-Pfalz und SachsenAnh­alt, drei bisher weit auseinande­rliegende Parteien zusammenar­beiten müssen. Oft werden solche Koalitions­verträge versuchen, Konflikte auszuspare­n und Entscheidu­ngen zu vermeiden. Das aber kann leicht die Basis in mindestens einer der beteiligte­n Parteien enttäusche­n – wenn nicht in allen – und für solche Bündnisse zur Zeitbombe werden. Zum anderen müssen die knappen Posten unter Vielen verteilt werden, und das erzeugt Verlierer. Leute, die sich später rächen. Oder gleich bei der ersten geheimen Wahl, wie gestern in Magdeburg geschehen.

Eine einfache Antwort, wie solche Probleme zu vermeiden wären, gibt es nicht. Nur den Hinweis, dass sie auf die Politik in Deutschlan­d zukommen und dass eine wesentlich­e Qualität des Landes damit gefährdet ist: die politische Stabilität seiner Parlamente und Regierunge­n. Noch ist es erträglich, aber wenn das überhandni­mmt, wird man über Gegenmaßna­hmen diskutiere­n müssen. Bis hin zur Einführung des Mehrheitsw­ahlrechts.

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Von Werner Kolhoff

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