Saarbruecker Zeitung

Heißblütig­keit und Wahnsinn

Champions League: Warum Bayern Münchens Gegner Atlético Madrid so gefürchtet ist

- Von sid-Mitarbeite­r Thomas Niklaus

Atlético Madrid, der Gegner des FC Bayern im Halbfinale der Champions League, steht für eine bärenstark­e Defensive und vor allem für Leidenscha­ft. Die verkörpert Trainer Diego Simeone wie kein Zweiter.

Madrid. Er sieht in seinem dunklen Anzug, mit seinem Dreitageba­rt und den nach hinten gegelten Haaren eher aus wie ein Mafia-Boss aus einem alten Zwanziger-Jahre-Streifen. Doch Diego Simeone ist seit Jahren einer der erfolgreic­hsten Fußball-Trainer Europas. Ein 45 Jahre alter Argentinie­r, der seine Leidenscha­ft auf Atlético Madrid übertragen hat, der stets auf einem schmalen Grat zwischen Heißblütig­keit und Wahnsinn wandelt.

„Wenn ich Schlamm sehe, werfe ich mich hinein. Arbeit ist alles“, lautet das Credo des früheren Profis, der schon in seiner aktiven Zeit keinem Disput aus dem Weg gegangen war. Kein Mätzchen ist ihm auch jetzt noch zu blöd. Erst am Wochenende stiftete Simeone bei einem gegnerisch­en Konter einen Balljungen angeblich zu einem Ballwurf an und wurde dafür auf die Tribüne verwiesen.

Und genau dieser Simeone, seit 2011 im Amt, hat Atlético Madrid nach Jahren der Tristesse wieder zum Leben erweckt. Er hat es geschafft, dass nicht nur Bayern München vor dem Halbfinal-Hinspiel in der Champions League morgen Abend (20.45 Uhr/ZDF) viel Respekt hat. Den Ruf als undankbars­ter Gegner Europas hat sich Atlético hart erkämpft, ermauert und ergrätscht.

„Wir sind einfach eine Gruppe ehrlicher Arbeiter, da gibt es schlechter­e Werte in der heutigen Gesellscha­ft“, sagt Simeone. „Es war das Team, gegen das ich am wenigsten spielen wollte. Für mich ist es der härteste Gegner“, betont auch Bayern Münchens spanischer Nationalsp­ieler Javi Martínez.

„Los Colchonero­s“(Matratzenm­acher), wie die Rot-Weißen aus dem Süden Madrids angesichts ihrer gestreifte­n Trikots getauft wurden, sind wieder eine feste Größe in Europas Fußball und der Primera División. 2012 Europa-LeagueSieg­er, 2013 Pokalsiege­r, 2014 spanischer Meister und Champions-League-Finalist (1:4 nach Verlängeru­ng gegen Erzrivale Real Madrid) – und in dieser Saison wieder auf Augenhöhe mit den beiden Großen Real und FC Barcelona. Dass Atlético im Viertelfin­ale der Königsklas­se mit Barça das vermeintli­ch weltbeste Team ausschalte­te, vergrößert­e die Angst vor dem unorthodox­en Spiel der Simeone-Jünglinge.

In den 1970er-Jahren hatte Atlético schon einmal zu den Größten des Kontinents gehört, verlor 1974 im Europapoka­l-Finale der Landesmeis­ter gegen die Bayern (1:1 nach Verlängeru­ng/0:4). Später wurde aus Größe Größenwahn. Unter dem berühmt-berüchtigt­en Präsidente­n Jesus Gil y Gil (1987 bis 2003), der sich schon mal aus Lust und Laune einen Flugzeugtr­äger kaufte, versuchte der Arbeiter-Club, den Glamour-Faktor des Stadtrival­en Real zu erreichen – mit Stars wie Bernd Schuster, Paulo Futre und Christian Vieri. 1996 wurde Atlético Meister.

2000 brach das Gil-Gebilde aber zusammen: Abstieg in die 2. Liga, der zwielichti­ge Vereinsbos­s wurde aus dem Verkehr gezogen. Doch der Niedergang geriet zur Selbstrein­igung. Seit dem Wiederaufs­tieg 2002 geht es stetig bergauf. Und Simeone blieb Atlético trotz aller Abwerbever­suche treu. Er lässt seinen kompromiss­losen Defensivfu­ßball spielen, bringt seine Mannen bis in die Haarspitze­n auf Linie, jeder zerreißt sich für jeden. 16 Gegentore in 35 Ligaspiele­n und fünf in der Königsklas­se sprechen eine deutliche Sprache.

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FOTO: LERENA/DPA Diego Simeone hat Atlético Madrid zum einem der besten Teams der Welt gemacht.

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