Heißblütigkeit und Wahnsinn
Champions League: Warum Bayern Münchens Gegner Atlético Madrid so gefürchtet ist
Atlético Madrid, der Gegner des FC Bayern im Halbfinale der Champions League, steht für eine bärenstarke Defensive und vor allem für Leidenschaft. Die verkörpert Trainer Diego Simeone wie kein Zweiter.
Madrid. Er sieht in seinem dunklen Anzug, mit seinem Dreitagebart und den nach hinten gegelten Haaren eher aus wie ein Mafia-Boss aus einem alten Zwanziger-Jahre-Streifen. Doch Diego Simeone ist seit Jahren einer der erfolgreichsten Fußball-Trainer Europas. Ein 45 Jahre alter Argentinier, der seine Leidenschaft auf Atlético Madrid übertragen hat, der stets auf einem schmalen Grat zwischen Heißblütigkeit und Wahnsinn wandelt.
„Wenn ich Schlamm sehe, werfe ich mich hinein. Arbeit ist alles“, lautet das Credo des früheren Profis, der schon in seiner aktiven Zeit keinem Disput aus dem Weg gegangen war. Kein Mätzchen ist ihm auch jetzt noch zu blöd. Erst am Wochenende stiftete Simeone bei einem gegnerischen Konter einen Balljungen angeblich zu einem Ballwurf an und wurde dafür auf die Tribüne verwiesen.
Und genau dieser Simeone, seit 2011 im Amt, hat Atlético Madrid nach Jahren der Tristesse wieder zum Leben erweckt. Er hat es geschafft, dass nicht nur Bayern München vor dem Halbfinal-Hinspiel in der Champions League morgen Abend (20.45 Uhr/ZDF) viel Respekt hat. Den Ruf als undankbarster Gegner Europas hat sich Atlético hart erkämpft, ermauert und ergrätscht.
„Wir sind einfach eine Gruppe ehrlicher Arbeiter, da gibt es schlechtere Werte in der heutigen Gesellschaft“, sagt Simeone. „Es war das Team, gegen das ich am wenigsten spielen wollte. Für mich ist es der härteste Gegner“, betont auch Bayern Münchens spanischer Nationalspieler Javi Martínez.
„Los Colchoneros“(Matratzenmacher), wie die Rot-Weißen aus dem Süden Madrids angesichts ihrer gestreiften Trikots getauft wurden, sind wieder eine feste Größe in Europas Fußball und der Primera División. 2012 Europa-LeagueSieger, 2013 Pokalsieger, 2014 spanischer Meister und Champions-League-Finalist (1:4 nach Verlängerung gegen Erzrivale Real Madrid) – und in dieser Saison wieder auf Augenhöhe mit den beiden Großen Real und FC Barcelona. Dass Atlético im Viertelfinale der Königsklasse mit Barça das vermeintlich weltbeste Team ausschaltete, vergrößerte die Angst vor dem unorthodoxen Spiel der Simeone-Jünglinge.
In den 1970er-Jahren hatte Atlético schon einmal zu den Größten des Kontinents gehört, verlor 1974 im Europapokal-Finale der Landesmeister gegen die Bayern (1:1 nach Verlängerung/0:4). Später wurde aus Größe Größenwahn. Unter dem berühmt-berüchtigten Präsidenten Jesus Gil y Gil (1987 bis 2003), der sich schon mal aus Lust und Laune einen Flugzeugträger kaufte, versuchte der Arbeiter-Club, den Glamour-Faktor des Stadtrivalen Real zu erreichen – mit Stars wie Bernd Schuster, Paulo Futre und Christian Vieri. 1996 wurde Atlético Meister.
2000 brach das Gil-Gebilde aber zusammen: Abstieg in die 2. Liga, der zwielichtige Vereinsboss wurde aus dem Verkehr gezogen. Doch der Niedergang geriet zur Selbstreinigung. Seit dem Wiederaufstieg 2002 geht es stetig bergauf. Und Simeone blieb Atlético trotz aller Abwerbeversuche treu. Er lässt seinen kompromisslosen Defensivfußball spielen, bringt seine Mannen bis in die Haarspitzen auf Linie, jeder zerreißt sich für jeden. 16 Gegentore in 35 Ligaspielen und fünf in der Königsklasse sprechen eine deutliche Sprache.