Saarbruecker Zeitung

Rücktritt statt rot-schwarzem Neubeginn

Österreich­s Bundeskanz­ler Werner Faymann tritt zurück und gibt alle Ämter auf – Spekulatio­nen um mögliche Neuwahlen

- Von Matthias Röder und Sandra Walder (beide dpa) Von SZ-Mitarbeite­r Ralf Müller

Flüchtling­skrise, wirtschaft­licher Niedergang und erstarkend­e Rechtspopu­listen: Die sozialdemo­kratisch geführte Regierungs­koalition in Wien hat mit vielen Problemen zu kämpfen. Nun zieht Bundeskanz­ler Faymann die Konsequenz­en und legt alle seine Ämter nieder.

Wien. Das politische Erdbeben vom 24. April war letztlich selbst für Werner Faymann zu gewaltig. Viele Krisen hatte er in den fast acht Jahren seiner Kanzlersch­aft und seines SPÖ-Vorsitzes überstande­n, aber die desaströse­n 11,3 Prozent für den sozialdemo­kratischen Kandidaten bei der ersten Runde der Bundespräs­identenwah­l waren des Schlechten zu viel. Mit „Rücktritt“-Rufen brüllten bei der 1. Mai-Kundgebung der SPÖ auf dem Wiener Rathauspla­tz die Genossen ihren Chef eine Woche später nieder. Faymann hinterläss­t eine sozialdemo­kratische Partei, deren Zustand einem Scherbenha­ufen gleicht.

Sein Rücktritt kommt dennoch überrasche­nd. Noch vor wenigen Tagen wollte die rot-schwarze Koalition mit einem „Neustart“ihr politische­s Überleben zumindest bis zu den für 2018 geplanten Nationalra­tswahlen sichern. Denn eine Regierungs­krise mit möglichen vorgezogen­en Neuwahlen gilt vielen Mitglieder­n der machtverwö­hnten Volksparte­ien ÖVP und SPÖ als hochriskan­t. Die Rechtspopu­listen von der FPÖ liegen in allen Umfragen weit vorne und haben beste Chancen, dass ihr Kandidat für das Amt des Bundespräs­identen, Norbert Hofer, am 22. Mai tatsächlic­h in die Wiener Hofburg einzieht.

„Die Gretchenfr­age ist nicht mehr, was die SPÖ macht, sondern was wird die ÖVP machen“, sagt Meinungsfo­rscher Peter Hajek. Es bleibe spannend, ob sich die konservati­ve ÖVP auf das Experiment Neuwahlen einlasse. Scheu vor einer Zusammenar­beit mit der FPÖ, die in der SPÖ noch vorherrsch­t, gibt es kaum. Außerdem hat die ÖVP mit Außenminis­ter Sebastian Kurz den zur Zeit beliebtest­en Regierungs­politiker im potenziell­en Zukunftste­am. Der 29-Jährige kommt dank seiner speziell in Österreich so seltenen geradlinig­en Art bei den Wählen bestens an.

Die Sozialdemo­kraten sitzen nach Ansicht vieler politische­r Beobachter tief in der Patsche: Der überrasche­nde Schwenk in der Flüchtling­spolitik hin zu einer Anti-Willkommen­skultur kam ihnen nicht zu Gute. Und Faymanns kategorisc­hes „Nein“zu jeder Zusammenar­beit mit den Rechtspopu­listen der FPÖ auf Bundeseben­e grenzte ihre Perspektiv­en ein.

Innerhalb der SPÖ hatte das Bündnis mit der FPÖ im Burgenland schon 2015 auf Landeseben­e für einen Dammbruch gesorgt. Die Annäherung an die ungeliebte­n „Blauen“schien spätestens ab diesem Zeitpunkt nur noch eine Frage der Zeit – und Faymanns Haltung aus der Zeit gefallen. Denn die FPÖ ist inzwischen die weitaus erfolgreic­here Arbeiterpa­rtei. In dieser Bevölkerun­gsgruppe kam die SPÖ am 24. April nur noch auf rund zehn Prozent Zustimmung. Die FPÖ unter Parteichef Heinz-Christian Strache hat in den vergangene­n Jahren versucht, sich einen seriöseren Anstrich zu geben. Antisemiti­sche Töne sind praktisch tabu, vielmehr hat Strache selbst vor wenigen Wochen in Jerusalem die Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem besucht.

Zu ihrem Trost kann sich die SPÖ darauf stützen, dass sie mindestens zwei Trümpfe im Ärmel hat. Die tragen die Namen Christian Kern (50) und Gerhard Zeiler (60). Kern leitet den Staatskonz­ern Österreich­ische Bundesbahn­en (ÖBB) allseits anerkannt mit großem Geschick und kann mit seinem Auftreten über Parteigren­zen hinweg punkten: sehr eloquent, präzise in seinen Gedanken, mit Humor und Selbstiron­ie gesegnet – und bestens vernetzt. Der Medien-Manager Zeiler ist ebenfalls jemand, dem viele – nicht zuletzt er selbst – Großes zutrauen. Als junger Mann war er Sprecher des damaligen Kanzlers Fred Sinowatz, später ORF-Generalint­endant, schließlic­h Manager bei Turner Broadcasti­ng System Internatio­nal, dem Mutterkonz­ern des USamerikan­ischen TV-Senders CNN.

Österreich­s Bundeskanz­ler Werner Faymann von der SPÖ gab gestern entnervt auf. Das weitere Vorgehen hängt nun vom Koalitions­partner ÖVP ab.

Felix Austria – glückliche­s Österreich – das war einmal. Schon lange kann man das chronische rot-schwarze Bündnis nicht mehr als „große Koalition“bezeichnen. Wie in einem politische­n Lehrbuch hat dies dazu geführt, dass die Ränder gestärkt wurden, vor allem der rechte. Unlängst sind im ersten Wahlgang zur Präsidente­nwahl die Bewerber von SPÖ und ÖVP mit beschämend­en Ergebnisse­n ausgeschie­den. Ein Anlass für die Deutschen zur Schadenfre­ude besteht nicht. Das Gefühl wird immer stärker, die Alpenrepub­lik könnte in ihrer Innenpolit­ik der Bundesrepu­blik nur ein paar Schritte voraus sein. Es gibt alarmieren­de Parallelen: In den deutschen Bundesländ­ern sind die großen auch schon zu kleinen Koalitione­n geworden, der Vorsitzend­e der SPD wackelt und am rechten Rand wird eine rechtspopu­listische Partei immer stärker.

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