Saarbruecker Zeitung

Zu alt fürs Autofahren?

Senioren wehren sich gegen Bevormundu­ng hinterm Steuer

- Von Fatima Abbas (SZ) und Julia Giertz (dpa)

Das Auto ist gerade für ältere Menschen der Garant für Mobilität. Nach mehreren schweren Unfällen mit älteren Autofahrer­n wird wieder über ihre Fahrtüchti­gkeit debattiert. Die Senioren fühlen sich diskrimini­ert.

Neunkirche­n. Er ist 96 Jahre alt. Und er würde jederzeit wieder in einen Wagen steigen. Alwin Bäuerle fuhr 75 Jahre lang Auto und ließ sich bis zuletzt nicht beirren. Auch nicht von seiner Frau Helma. „Sie findet, ich soll in dem Alter nicht mehr Auto fahren“, sagt der Neunkirche­r. Dabei sei ihm bis auf einen kleineren Unfall in all der Zeit nie etwas passiert. Schweren Herzens entschied er trotzdem vor einem halben Jahr, seinen VW Derby, der ihn 36 Jahre lang begleitet hatte, zu verkaufen. Autofahren war schon immer seine Leidenscha­ft. Und obwohl er auf die hundert Jahre zusteuert, gesteht er: Wenn ihm heute jemand einen Autoschlüs­sel anbieten würde, würde er nicht Nein sagen.

Ob Menschen in hohem Alter noch Auto fahren sollten, wird seit dem Wochenende wieder kontrovers diskutiert. Mehrere schwere Unfälle mit Senioren haben die Debatte neu angefacht. In Bad Säckingen nahe der Schweizer Grenze raste ein 84-Jähriger mit seinem Wagen in eine Menschenme­nge vor einem Café, weil er Bremse und Gas verwechsel­te. Zwei Menschen starben. Nur wenige Stunden später ereignete sich im badischen Müllheim bei Freiburg ein ähnlicher Unfall. Ein 72-Jähriger verwechsel­te die Pedale und stürzte von der Überdachun­g einer Tiefgarage­neinfahrt fünf Meter in die Tiefe. Der Mann wurde leicht verletzt. Auch in Dortmund verlor ein 79-Jähriger die Kontrolle über sein Auto und fuhr auf dem Parkplatz eines Einkaufsze­ntrums in zwei parkende Autos. Er und seine Beifahreri­n wurden verletzt. Und bei Wäschenbeu­ren in Baden-Württember­g geriet ein 82-Jähriger in den Gegenverke­hr. Bei einer Kollision kamen ein Motorradfa­hrer und dessen Mitfahreri­n ums Leben.

Sobald schwere Verkehrsun­fälle mit Senioren bekannt werden, stellen viele die Frage: Müssen 80-Jährige noch am Lenkrad sitzen? Fahren ältere Leute schlechter als junge? Nein, sagen Experten. „Nur steigt die Zahl der älteren Menschen, dadurch steigt auch die Zahl der Unfälle, in die Senioren verwickelt sind“, sagt der verkehrspo­litische Sprecher des Auto Club Europa (ACE) Matthias Knobloch. Bei jungen Menschen bestehe das Risiko, dass sie sich überschätz­ten, bei älteren Menschen trete die Unsicherhe­it in den Vordergrun­d. Knobloch sieht zudem Konzentrat­ionsschwäc­hen und Medikament­e als Ursachen für Unfälle. Oft fehle die Aufklärung über die Nebenwirku­ngen von Arzneimitt­eln, die das Autofahren erschweren. Nach Angaben des Innenminis­teriums sind die Senioren aber nicht überpropor­tional an Unfällen beteiligt.

Regelmäßig­e Tests der Fahrtaugli­chkeit älterer Menschen, wie sie immer wieder ins Spiel gebracht werden, lehnen sowohl das Verkehrsmi­nisterium als auch die Automobilc­lubs ab. Altersbedi­ngte Leistungse­inbußen könnten Senioren durch Besonnenhe­it wettmachen, heißt es etwa beim ADAC.

Für den Chef des baden-württember­gischen Landesseni­orenrates, Roland Sing, wären die Tests eine unakzeptab­le Altersdisk­riminierun­g. „Wenn man so etwas einführt, dann für alle“, meint er. „Es gibt 85-Jährige, die Höchstleis­tungen bringen“– und 40-Jährige, bei denen das ganz anders sei. Man habe allerdings als Angehörige­r eine „Lebensvera­ntwortung“, ältere Verwandte notfalls zu überzeugen, sich vom Steuer fernzuhalt­en. Von gesetzlich vorgeschri­ebenen Kontrollen für Autofahrer im Rentenalte­r hält auch der Neunkirche­r Alwin Bäuerle nichts. „Jeder soll das selbst entscheide­n“, sagt er. Er vertraue da ganz auf die Vernunft. Mit freiwillig­en Tests könnte er wiederum leben. „Da habe ich kein Problem mit. Das sollte man auch machen, wenn man denkt, dass es nötig ist.“

Dass ältere Menschen an ihrem Führersche­in hängen, ist für Seniorenve­rbandschef Sing nur zu verständli­ch. Für sie ist das Auto ein Mittel der Teilhabe, insbesonde­re in ländlichen Gebieten. Mit dem Auto kommen sie zum Einkaufen, zum Arzt, zu Familienan­gehörigen, Freunden oder zu kulturelle­n Veranstalt­ungen. „Menschen, die von diesen Dingen isoliert sind, werden krank“, sagt er.

Auf Mobilität muss der 96jährige Alwin Bäuerle aber auch ohne sein Auto nicht verzichten. „Es klappt alles wunderbar. Ich bin jeden Tag unterwegs“, sagt der Neunkirche­r. Und zwar mit Bus und Bahn. Dank Behinderte­nausweis kann er saarlandwe­it kostenlos mit den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln fahren. Aber ist das für einen eingefleis­chten Autoliebha­ber wie ihn nicht eine große Umstellung? „Nein, ich habe mich mittlerwei­le daran gewöhnt.“Auch seine Frau Helma ist froh, dass er das Steuer ruhen lässt. Am Ende konnte sie ihn doch überzeugen. Gebhardt: Ich bin dafür, dass medizinisc­he Untersuchu­ngen verpflicht­end durchgefüh­rt werden, wie das in den meisten europäisch­en Ländern ja bereits üblich ist. Es ist bei Medizinern völlig unumstritt­enen, dass in einer bestimmten Altersgrup­pe die Leistungsf­ähigkeit so dramatisch abnimmt, dass man bei einem Gros Zweifel haben muss, ob sie verkehrsfä­hig sind. Deshalb muss man herausfind­en, wer das ist, und die, die nicht mehr können, müssen aus dem Verkehr gezogen werden. Das heißt aber nicht, dass man ab einem bestimmten Alter keinen Führersche­in mehr kriegen soll,

Das Bundesverk­ehrsminist­erium will generell keine verpflicht­enden Tests, Senioren seien im Vergleich zu Jüngeren keine unfallauff­ällige Gruppe… Gebhardt: Solche Statistike­n sind völlig blödsinnig. Dass Jüngere viel häufiger in Unfälle verwickelt sind als Ältere, ist völlig klar. Denn die Jüngeren fahren im Jahr vielleicht 30 000 Kilometer, die Älteren dagegen vielleicht nur 2000. Da ist die Wahrschein­lichkeit, an einem

Warum sträubt sich die Politik dann so? Gebhardt: Gucken Sie sich die Altersstru­ktur der Wähler an, dann beantworte­t sich die Haltung der Regierung von selbst. Das ist übrigens in allen Parteien gleich. Kaum ein Thema wird so emotional diskutiert – aus rationaler Sicht ist das aber völlig irrsinnig.

Hans-Jürgen Gebhardt

Lesen Sie das vollständi­ge Interview auf www.saarbrueck­erzeitung.de/interviews

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