Und das Grauen tritt in den Hintergrund
Kleinteiliger Schlagabtausch zwischen Nordrhein-Westfalens Innenminister Jäger und Opposition im „Untersuchungsausschuss Silvesternacht“
Das Einsatzdebakel in der Kölner Silvesternacht hat alle Zutaten, um einen Innenminister in Bedrängnis zu bringen – die Opposition im Düsseldorfer Landtag schafft es aber nicht, die Defensive von Minister Jäger im Untersuchungsausschuss zu knacken.
Düsseldorf. Wenn mitten in Köln in der Silvesternacht Hunderte Frauen von Männer-Pulks drangsaliert und beraubt werden können, hat die Polizei versagt. Hätte das Innenministerium im Vorfeld ein Auge auf die Einsatzplanung haben müssen? „Nein“, sagt Ressortchef Ralf Jäger (SPD). Die Einsatzplanung vor solchen Ereignissen liege ausschließlich bei den Behörden vor Ort. Im „Untersuchungsausschuss Silvesternacht“des Düsseldorfer Landtags will sich der Innenminister von der Opposition keinerlei Schuld für das Debakel in die Schuhe schieben lassen – weder für die Planung, noch für eventuelle Versäumnisse nach den Übergriffen. „Ich bleibe dabei: Das war im Vorfeld nicht vorhersehbar.“
Wären Opfer in der Ausschusssitzung anwesend gewesen, wären sie vermutlich erschüttert, dass das Grauen ihrer Erlebnisse im kleinteiligen Schlagabtausch zwischen Minister und Opposition weitestgehend auf der Strecke bleibt. Der Opposition gelingt es trotz mehrstündiger Versuche nicht, Jäger ernsthaft in die Bredouille zu bringen oder ihm gar Vertuschung oder gesteuerte Manipulation von Polizeimitteilungen nachzuweisen. „Diesen Vorwurf weise ich entschieden zurück“, unterstreicht der zeitweise sichtlich genervte Minister. Jäger bleibt seiner bisherigen Verteidigungslinie treu: „Das war ein absolut neues Phänomen, das zum ersten Mal überhaupt in Deutschland zutage getreten ist.“Da nicht mal die Kölner Polizei in den ersten Tagen die volle Dimension der massenhaften Übergriffe auf Frauen erkannt habe, hätten auch er und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) nicht früher reagieren können. Versagt habe die Kölner Polizeiführung.
Die erste sogenannte „WEMeldung“über „wichtige Ereignisse“, in der am Neujahrstag zunächst von elf Übergriffen durch eine Gruppe von bis zu 50 augenscheinlich nordafrikanischen Männern die Rede war, habe das Ausmaß nicht annähernd erahnen lassen. „Und Ihr Bauchgefühl sprang nicht an?“, will der Ausschussvorsitzende Peter Biesenbach (CDU) wissen. „Auch mein Bauchgefühl hat nicht auf diese Dimension hingedeutet“, gibt Jäger zurück. Immerhin erhalte er
NRW-Innenminister Jäger wies im Untersuchungsausschuss jede Schuld am Silvesterdebakel der Polizei in Köln von sich.
jährlich Hunderte WE-Meldungen – alle mit drei Ausrufezeichen im Betreff. „Das ist Standard.“Wirklich wichtige Dinge würden ihm persönlich oder telefonisch mitgeteilt. Dies sei aber nicht geschehen.
Lange beißt sich die Opposition an der vorausgegangenen Zeugenaussage eines Kölner Kriminalkommissars fest, der berichtete, er sei am Neujahrstag von der Landesleitstelle aufgefordert worden, den Begriff „Vergewaltigung“aus der WE-Meldung zu streichen. Dies lässt sich allerdings bislang nicht belegen.
Jäger stellt aber klar: Sollte es einen solchen Anruf gegeben haben, wäre dies ohne sachliche Zuständigkeit, „fachlich neben der Kappe“und keinesfalls auf Geheiß des Ministeriums geschehen. Bei der geschilderten Straftat – eine Frau hatte angezeigt, einer der Männer sei mit den Fingern in ihren Körper eingedrungen – handle es sich zweifelsfrei um eine Vergewaltigung.
Mehr als 1100 Anzeigen sind im Zusammenhang mit Silvester bei der Kölner Staatsanwaltschaft eingegangen – 492 davon wegen Sexualstraftaten. Bislang wurden neun Angeklagte unter anderem wegen Diebstahls verurteilt – noch keiner wegen eines Sexualdelikts. Die Zahlen gäben das Grauen aber nicht wieder, räumt Jäger ein. Ihm selbst sei das erst durch Fernseh-Interviews von Opfern vollständig klar geworden. „Das war wie ein Schlag in die Magengrube. Ich bin selbst Vater einer 23-jährigen Tochter und Ehemann.“Wenn er sich vorstelle, dass seine eigene Familie betroffen gewesen wäre, „hätte mich vermutlich nur kalte Wut gepackt“. Als Innenminister wolle er jetzt mithelfen, die Einsatzund Kommunikationspannen lückenlos aufzuklären und Konsequenzen zu ziehen. „Wer mich kennt, weiß, dass ich die Dinge beim Namen nenne.“dpa