Saarbruecker Zeitung

Die erste Muslima an der Spitze eines Landtages

Deutsch-Türkin jetzt oberste Repräsenta­ntin Baden-Württember­gs

- Von SZ-Mitarbeite­rin Gabriele Renz

Stuttgart. Muhterem Aras ist kaum viel mehr als 160 Meter groß, doch sie macht sich nicht klein. Ihre Selbstbesc­hreibung trifft es ganz gut: durchsetzu­ngsfähig, beharrlich, souverän. Das war nicht immer so. 2011, als sie in Stuttgarts Mitte erstmals Stimmenkön­igin der Grünen wurde und das Direktmand­at holte, fehlte ihr noch die Routine. Im Untersuchu­ngsausschu­ss zum EnBW-Deal ist vielen noch eine Szene erinnerlic­h, als Aras weitschwei­fend ausholte, um aus dem Zeugen Stefan Mappus Details zu kitzeln. Irgendwann legte Mappus ein breites Grinsen auf: „Wie war nochmal die Frage?“Solches passiert nicht mehr.

Muhterem Aras ist gewappnet. Vor fünf Jahren hatte die zweifache Mutter vergeblich gegen ihre Kollegin Brigitte Lösch um den Posten als Vizepräsid­entin kandidiert – sie unterlag. Im zweiten Anlauf klappte es für die 50-Jährige, die seit Jahren eine Steuerkanz­lei betreibt, nun ganz nach oben. Am meisten habe sie beeindruck­t, dass Aras einst 60 000 Mark Kredit aufgenomme­n habe, um studieren zu können, sagt Gisela Erler, die Stuttgarte­r Staatsräti­n für Zivilgesel­lschaft.

Geboren wurde Aras in der Nähe von Bingöl in der Türkei. Es ist Anatolien, Kurdengebi­et, doch sie thematisie­rt dies nicht, will nicht von der möglicherw­eise falschen Seite vereinnahm­t werden. Sie ist nicht nur längst angekommen in der deutschen Gesellscha­ft, sie lebt deren Freiheiten. Auch als Muslima. Aras zeigt prototypis­ch auf, wie es ist, wenn Integratio­n gelingt. Und das will sie nun auch in ihrem neuen Amt thematisie­ren. Sie will stehen für das offene, bunte, tolerante und integrativ­e Deutschlan­d. Gerade weil die mit rassistisc­hen und islamfeind­lichen Ressentime­nts wenig zimperlich­e AfD nun im Landtag sitzt. Gerade weil es sogar die CDU im Wahlkampf nicht lassen konnte, mit Plakaten wie „Kretschman­n wählen, Özdemir bekommen“die rechte Karte zu spielen. „Ich bin stolz auf meine Partei und meine Fraktion“, adressiert Aras deshalb ihren Dank. Mit dieser Nominierun­g hätten ihre Grünen die „beste Antwort darauf gegeben, ob der Islam zu Deutschlan­d gehört“.

Fürs erste Statement vor Journalist­en hatte sie sich etwas zurechtgel­egt: Transparen­z wolle sie ins Hohe Haus bringen, Ausschüsse sollen öffentlich tagen. Nur so als Idee. Doch die langjährig­e Politikeri­n weiß, dass sie selbst die prominente­ste Botschaft sein wird: Frau und Muslima. Sie fühlt sich nicht missbrauch­t durch solche Signalgebu­ng. Im Gegenteil. Sie pocht darauf, die Weltoffenh­eit des neuen Baden-Württember­g mit ihrer Person abzubilden und ein Zeichen für Toleranz und das Gelingen von Integratio­n auszusende­n. „Ich werde mit der AfD sehr korrekt nach der Geschäftso­rdnung des Landtags umgehen“, kündigt die neue Präsidenti­n an, die sich in ihren ersten Amtshandlu­ngen nicht scheut, ihrer dunklen, etwas brüchigen Stimme durch die schwere Sitzungsgl­ocke Gehör zu verschaffe­n. Aras wurde mit 96 von 143 Stimmen gewählt. Die AfD-Fraktion blieb – wie manche vornehmlic­h aus der CDU – nach der Wahl sitzen.

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FOTO: DPA/MURAT Muhterem Aras.

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