Theater, das brutal, hart und direkt sein will und sein muss
Politische Ereignisse auf die Bühne zu bringen, ist Milo Raus Prinzip – Nächste Woche zeigt er bei den „Perspectives“sein Stück „Hate Radio“
Nächste Woche ist beim Festival "Perspectives", das heute Abend eröffnet wird, Milo Raus seit viereinhalb Jahren weltweit gezeigtes Stück „Hate Radio“zu sehen – Blick auf das Stück und seinen Regisseur.
Saarbrücken. Harte Kost ist seine Spezialität. Ob „Die letzten Tage der Ceaucescus“, „Breiviks Statement“oder „Die Moskauer Prozesse“gegen Pussy-Riot – seit Jahren wühlt sich der Schweizer Theatermann Milo Rau durch die düstersten politischen Ereignisse und bringt sie auf die Bühne. Versteht es mit Themen, mit denen sich kaum jemand freiwillig beschäftigt, das Publikum zu fesseln.
„Hate Radio“, sein Stück über einen Radiosender, der 1994 in Ruanda zwischen flotter Musik und Gute-Laune-Moderationen zum Mord an der Bevölkerungsgruppe der Tutsi aufrief, wird seit viereinhalb Jahren auf der ganzen Welt aufgeführt. Das Stück, das den Bürgerkrieg von Ruanda wieder vor Augen führt und nächste Woche bei den Saarbrücker Perspectives seine 200. Vorstellung erleben wird, ist bisher Raus erfolgreichstes.
Bei Deutschen stellt der gebürtige Berner eine besonders große Bereitschaft fest, sich auf das Genozid-Thema einzulassen. „Weil das einfach wegen des Genozids an Juden zur Grundausbildung des deutschen Bürgers gehört“, wie er im SZ-Gespräch sagt. Dass es in anderen Ländern wie etwa in Japan ebenfalls auf große Resonanz stieß, habe ihn erstaunt und bewiesen, dass „Hate Radio“universal verständlich sei. Weil es kein analytisches Stück sei, sondern versuche, die Atmosphäre jener Zeit aufleben zu lassen, erklärt Rau sich das. Nicht pädagogisch wertvoll und erzieherisch, sondern brutal, hart und direkt.
„Reenactment“ist Raus Methode, die Neuinszenierung eines politischen Ereignisses in möglichst authentischer Weise – auch dokumentarisch, aber auch fiktional. Über die „Ästhetik des Reenactements“hat der 40-jährige Überflieger seine Doktorarbeit geschrieben. Außer Germanistik und Romanistik hat er auch Soziologie bei Pierre Bourdieu studiert. Sich für die Forschung oder für die Kunst zu entscheiden, war für Rau nie eine Frage. „Ich hab’ mit 19 begonnen, Reportagen zu schreiben, mit 20 Theater und Film gemacht, hatte mit 21 meinen ersten Kinofilm herausgebracht und studierte Soziologie parallel.“Theorie und Praxis, politisches Engagement und Praxis zusammenführen, das ist es, was ihn treibt. Das Durchhaltevermögen eines Wissenschaftlers zeigt er bei seinen Recherchen. Sie dauern meist Jahre, auch bei „Hate Radio“. Parallel dazu arbeitet er dann bereits an anderen Theaterprojekten, drei bis vier realisiert er pro Jahr.
In Ruanda konnte sich Rau auf Archive stützen. Da der Genozid vor dem Internationalen Gerichtshof verhandelt wurde, lagen die ganzen Sendungen des Radiosenders RTLM protokolliert und übersetzt vor. „Trotzdem war es eine große Sache“, sagt er. Allein die ganzen Bewilligungen zu bekommen, um mit verurteilten Tätern, darunter eine Radiomoderatorin, zu sprechen, sei aufwändig gewesen. Am Samstag wird Raus neuestes Werk, „Five Easy Pieces“über den Kindermörder Dutroux, in Belgien uraufgeführt. Auf der Bühne agieren Kinder. Darf man das? Über die Frage wurde in belgischen Medien vorab heiß debattiert. „Dutroux ist nur ein Vorwand, um das Thema zu erzählen, wie es ist, mit Kindern auf der Bühne zu arbeiten“, sagt Rau. „Auch ,Hate Radio’ ist im Grunde ein Alibi, um das Universelle des Vorgangs zu erzählen, des Tötens und des Genozids.“
„Hate Radio“läuft am 19., 20. und 21. Mai. Karten gibt es unter ticket@festival-perspectives.de