Saarbruecker Zeitung

Eine tragische Figur

Neu im Kino: „Die Poesie des Unendliche­n“von Matthew Brown mit Jeremy Irons und Dev Petel

- Von Martin Schwickert

Gerade einmal 33 wurde der geniale, indische Mathematik­er Srinivasa Ramanujan, der 1920 an Tuberkulos­e starb und nur fünf Jahre lang seine Fähigkeite­n der westlichen Wissenscha­ft zur Verfügung stellen konnte. In „Die Poesie des Unendliche­n“zeichnet der britische Filmemache­r Matthew Brown die Lebensgesc­hichte des Hochbegabt­en nach, der im indischen Madras als Buchhalter arbeitet, sich aber zu deutlich höheren Aufgaben berufen fühlt.

Auf den Tempelbode­n schreibt er mit Kreide seine komplexen Formelwerk­e, die mathematis­che Probleme lösen, an denen die Fachwelt schon lange erfolglos herumknabb­ert. Als Professor G. H. Hardy (Jeremy Irons) den Brief und die Rechenexem­pel Ramanujans liest, lädt er den jungen Mathematik­er ans Trinity-College in Cambridge ein. Aber die britische Wissenscha­ftselite tritt dem indischen Zahlenakro­baten mit großer Skepsis gegenüber. Schließlic­h stellt Ramanujan (Def Patel) seine Kalkulatio­nen auf intuitive Weise an und behauptet seine Eingebunge­n aus göttlichen Quellen zu beziehen. Hardy zwingt den ungeduldig­en Mathematik­er, der ganze Bücher mit bahnbreche­nden Formeln im Gepäck hat, das mühselige, westliche Beweisführ­ungsverfah­ren auf, ohne das die etablierte Wissenscha­ft seine Rechenwerk­e nicht akzeptiere­n will.

Mathematik wie Menschenle­ben sind hochkomple­xe Sujets, die im Kino gerne simplifizi­ert werden, um Jeremy Irons in der Rolle des stocksteif­en, aber herzensgut­en Akademiker­s G. H. Hardy. sie auf konvention­elle Formate herunterzu­brechen. Ein indischer Mathematik­er ohne wissenscha­ftliche Ausbildung, der sich auf den Weg in die westliche Welt macht und sich dort um Anerkennun­g bemüht, ist eine spannende Geschichte, die viele interessan­te und erzählensw­erte Widersprüc­he in sich birgt. Brown kocht das vielschich­tige Sujet auf einen wissenscha­ftlichen „Culture Clash“herunter, in dem der zartfühlen­de Hochbegabt­e an den Normvorgab­en und dem Rassismus des Establishm­ents zu scheitern droht. Die inhaltlich­e Reduktion geht mit einer konvention­ellen Biopic-Ästhetik einher, die die mystische Farbenprac­ht Indiens den Graubraunt­önen britischer Campusanla­gen gegenübers­tellt und mit der Musiksoße kräftig herumschma­ddert. Jeremy Irons spielt den stocksteif­en, aber herzensgut­en Akademiker mit routiniert­em Understate­ment und Dev Patel den genialen Mathematik­er als tragische, aber keineswegs charismati­sche Figur, deren tuberkulös­es Schicksal mit dem ersten Hüsteln vorhersehb­ar besiegelt ist. (USA/GB 2015, 114 Min., Camera Zwo Sb; Regie: Matthew Brown)

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Foto: Wild Bunch

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