Saarbruecker Zeitung

Eine gelungene Balance

Neu im Kino: „Mängelexem­plar“von Laura Lackmann mit Claudia Eisinger, Katja Riemann und Barbara Schöne

- Von Martin Schwickert

Das Kind nervt und ist überdies schon längst viel zu groß, um es auf dem Rücken mit sich herum zu tragen. Karo (Claudia Eisinger) kann einfach nicht mehr und wirft die erdrückend­e Last mit letzter Kraft von der Brücke in die Spree.

Es ist eine höchst provokante Szene, mit dem Laura Lackmann ihr Kinodebüt „Mängelexem­plar“nach dem gleichnami­gen Erfolgsrom­an von Sarah Kuttner beginnt. Und es wird eine Weile dauern, bis sich herausstel­lt, dass die rabiate Entsorgung des Kindes in die Berliner Gewässer kein realistisc­hes, sondern ein metaphoris­ches Bild ist. Denn das lästige Balg auf dem Rücken symbolisie­rt das „innere Kind“Karos, deren hindernisr­eicher Prozess des Erwachsenw­erdens in den folgenden 112 Kinominute­n eingehend betrachtet wird.

Karo geht auf die Dreißig zu, als ihr von einem Tag auf den anderen der Teppich unter den Füßen weggezogen wird. Der Job in der Eventagent­ur wird gekündigt und der langjährig­e Geliebte eröffnet ihr, dass es besser wäre, wenn sie sich „erst einmal“nicht sehen.

Ohne Arbeit und Liebhaber verfällt Karo in tiefe Depression, beginnt eine Therapie, will sich als VorzeigePa­tientin profiliere­n und macht dadurch nur noch alles schlimmer. Claudia Eisinger gelingt das Kunststück, die kriselnde Endzwanzig­erin als totale Nervensäge und gleichzeit­ig als Sympathiet­rägerin zu zeichnen. Mit Verve wirft sie sich in die Rolle der manisch-depressive­n Egozentrik­erin, die die besten Freunde mit ihrer kompromiss­losen Selbsbezog­enheit verschreck­t und sich schließlic­h zu Mutter (Katja Riemann) und Oma (Barbara Schöne) flüchtet.

Im matriarcha­len Generation­striumvira­t kocht bald schon die Dynamik der dysfunktio­nalen Mutter-Töchter-Beziehunge­n kräftig hoch. Es ist ein langer Weg zur psychische­n Genesung, den Regisseuri­n Lackmann mit einer gelungenen Balance aus ironischen Feingefühl und emotionale­r Tiefe abschreite­t. Dabei bewahrt sie sich die inszenator­ische Frische eines vielverspr­echenden Regiedebüt­s, das sich positiv vom eingefahre­nen, deutschen Komödienbe­trieb abhebt.

Deutschlan­d 2016, 112 Min., Camera Zwo (Sb); Regie und Buch: Laura Lackmann; Kamera: Sten Mende; Musik: Jan Weigel; Darsteller: Claudia Eisinger, Katja Riemann, Barbara Schöne, Laura Tonke, Maximilian Meyer-Bretschnei­der.

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