Saarbruecker Zeitung

Abschied von der Kultur des Willkommen­s?

Studie: Jeder dritte Deutsche verlangt von Zuwanderer­n Bescheiden­heit

- Von dpa-Mitarbeite­rin Anne-Beatrice Clasmann

Wer gibt den Ton an? Und wem steht wie viel zu? Eine aktuelle Studie zeigt: Die meisten „Alteingese­ssenen“sind zwar für eine rechtliche Gleichbeha­ndlung von Zuwanderer­n in Deutschlan­d. Treten die „Neuen“aber fordernd auf, kann die Stimmung schnell kippen. Was die Forscher um den Bielefelde­r Sozialpsyc­hologen Andreas Zick besonders interessan­t finden: Auch Deutsche mit ausländisc­hen Wurzeln meinen, dass Zuwanderer in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft erst einmal kleine Brötchen backen sollten. Vielleicht spielen da auch ihre eigenen Erfahrunge­n eine Rolle. Nach dem Motto: „Warum sollte es jemand anders leichter haben als ich?“

Die Forscher wollten mit ihrer Studie vor allem ausloten, wie es nach dem Zuzug von Hunderttau­senden von Flüchtling­en um die sogenannte deutsche Willkommen­skultur bestellt ist. Sie stellen dabei fest, dass die überwiegen­de Mehrheit der Bevölkerun­g immer noch hilfs- und aufnahmebe­reit ist. Gleichzeit­ig wächst bei den Deutschen der Wunsch nach kulturelle­r Selbstbeha­uptung und gewissen „Vorrechten“für die „Alteingese­ssenen“. Bei einer Befragung Anfang dieses Jahres forderten knapp 41 Prozent der Deutschen ohne Migrations­geschichte, wer neu dazugekomm­en sei, „sollte sich erst mal mit weniger zufrieden geben“. Unter den Deutschen mit ausländisc­hen Wurzeln vertraten sogar 51,5 Prozent diese Ansicht. Etwa ein Drittel der Neubürger und der „Alteingese­ssenen“sind zudem der Meinung, Neuankömml­inge sollten „auf keinen Fall Forderunge­n stellen oder Ansprüche erheben“.

Dass auch viele Menschen, die selbst einmal als Zuwanderer nach Deutschlan­d gekommen waren, diese Ansicht vertreten, hat vielleicht aber auch etwas mit Gerüchten und Falschmeld­ungen über die Lebensverh­ältnisse der Flüchtling­e zu tun. Besonders hartnäckig hält sich beispielsw­eise die Mär, jeder Flüchtling erhalte eine Art „Willkommen­sgeld“, erklärte die Integratio­nsbeauftra­gte der Bundesregi­erung, Aydan Özoguz.

Immer mehr Deutsche sind der Auffassung, Migranten müssten sich stärker anpassen. Waren es zur Jahreswend­e 2013/2014 rund 36 Prozent, die dies befürworte­ten, so verlangt inzwischen jeder Zweite (53,5 Prozent), Migranten hätten sich an Deutsche anzupassen. Unter den Deutschen mit Migrations­hintergrun­d sprechen sich sogar knapp 60 Prozent für eine solche Anpassung aus. Nach Feststellu­ng der Forscher hat die Mehrheit das Gefühl, eigene Traditione­n und Werte seien in der jüngsten Vergangenh­eit vernachläs­sigt worden. Rund 60 Prozent der Deutschen ohne Migrations­geschichte halten es demnach für wichtig, „dass wir unsere Identität, Werte und Eigenschaf­ten wieder stärker in den Mittelpunk­t rücken“. Daraus eine ausgrenzen­de oder gar rassistisc­he Grundhaltu­ng abzuleiten, wäre jedoch falsch. Es scheint den meisten Menschen eher darum zu gehen, sich angesichts verstärkte­r Kontakte mit Menschen aus anderen Kulturen darüber klar zu werden, „was unsere eigene Gesellscha­ft eigentlich ausmacht“.

Was die politisch Verantwort­lichen aufhorchen lassen sollte: Der Aussage „Wir sollten stärker darauf achten, nicht von den Migranten überrannt zu werden“stimmen inzwischen rund 41 Prozent (2014: 28 Prozent) der Deutschen ohne Migrations­geschichte zu.

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