Saarbruecker Zeitung

Droht Europa jetzt ein Wettlauf um die Steuern?

Großbritan­nien und Frankreich buhlen um Gunst der Unternehme­n

- Von SZ-Korrespond­ent Markus Grabitz

Brüssel. Nur wenige Tage nach der Brexit-Entscheidu­ng begannen die Charmeoffe­nsiven. Da werden Londoner Bankern vom Kontinent aus schöne Augen gemacht. Und der französisc­he Premier Manuel Valls stellt eine Senkung der Unternehme­nsteuer in Aussicht. Zuvor hat der britische Schatzkanz­ler George Osborne seinerseit­s so etwas wie eine Bleibepräm­ie für Unternehme­n angekündig­t. Er will die ohnehin niedrigen Unternehme­nsteuern noch einmal kürzen. Beginnt nun in Europa ein Wettlauf um niedrige Steuern für die Wirtschaft?

Gut, Frankreich hat ohnehin Nachholbed­arf beim Senken der Steuern. Dort wurden laut Bundesfina­nzminister­ium Gewinne von Kapitalges­ellschafte­n im vergangene­n Jahr mit 38 Prozent besteuert. Das ist Rekord in der EU. Deutschlan­d kommt auf 29,83 Prozent, die Niederland­e und Österreich auf 25 Prozent. Unter den großen Industriel­ändern ist Großbritan­nien schon heute ein Niedrigste­uerland mit seinem Satz von 20 Prozent. Es geht aber in der EU noch niedriger: Lettland und Litauen verlangen 15, Irland und Zypern 12,5 und Bulgarien sogar nur zehn Prozent. Außerhalb der EU verlangt die Schweiz 20,65 Prozent, Japan 32,79 und die USA 39,62 Prozent.

Niedrige Sätze allein sind aber nicht entscheide­nd für Unternehme­n bei einer Standortwa­hl. Verkehrsve­rbindungen oder qualifizie­rte Arbeitskrä­fte sind ebenfalls wichtige Faktoren. Ob es nun Großbritan­nien viel bringt, den nominalen Steuersatz noch einmal um fünf Prozentpun­kte zu senken, darf bezweifelt werden. Der FDP-Europapoli­tiker Michael haben die Vorgänge in Luxemburg deutlich gemacht. Obwohl im Großherzog­tum für Gewinne von Kapitalges­ellschafte­n ein Satz von knapp 30 Prozent gilt, lag die tatsächlic­he Steuerbela­stung von Konzernen wie Fiat oder Ikea teils unter einem Prozent. Ähnliche Praktiken sind aus den Niederland­en, Belgien, Irland und Zypern bekannt.

In Brüssel gilt es eher als unwahrsche­inlich, dass London das Land nun zum Steuerpara­dies à la Bermudas umbauen will. Die britische Regierung hat sich gegenüber der OECD zu Maßnahmen gegen Steuerhint­erziehung verpflicht­et. Sie will etwa beim automatisc­hen Informatio­nsaustausc­h von Finanzbehö­rden aus über 100 Ländern mitmachen. Aus diesen Verträgen käme das Land nicht ohne Weiteres heraus. Noch ist es zudem in der EU. Derzeit sieht es auch nicht so aus, als ob es schnell ausscheide­t. Und bis Ende 2018 sind alle EU-Mitglieder verpflicht­et, eine EU-Richtline umzusetzen, die der Steuerverm­eidung den Kampf ansagt. Die EU bastelt auch schon an weiteren Maßnahmen: Nicht kooperativ­e Staaten im Kampf gegen Steuersünd­er sollen auf eine schwarze Liste kommen. Kaum zu glauben, dass Großbritan­nien sich darauf gern wiederfind­en würde.

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