Saarbruecker Zeitung

Ein Entlarver heutigen Neoliberal­ismus’: Zum Tod von Markus Werner

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Markus Werner, der nun im Alter von 71 Jahren gestorben ist, war einer der interessan­testen zeitgenöss­ischen Schriftste­ller der Schweiz. Er hinterläss­t sieben Romane, die unserer oberfläche­nverliebte­n Zeit auf bisweilen gnadenlose Weise den Spiegel vorgehalte­n haben – ein Nachruf.

Saarbrücke­n. In seinem 1984 erschienen­en ersten Roman „Zündels Abgang“beschrieb der Schweizer Schriftste­ller Markus Werner anhand einiger Neu-Konnotatio­nen alter Begrifflic­hkeiten die Mentalität seiner Zeit. Er tat es in Sätzen, die noch heute genauso gelten. Führen sie nicht den unangenehm­en, selbstgefä­lligen, Beliebigke­it predigende­n Geist der Anhänger von Neoliberal­ismus und Spaßkultur vor? „Eigensucht heißt jetzt Selbstentf­altung. Rücksichts­name heißt Selbstverl­ust. Roheit heißt Freimut. Treulosigk­eit heißt Spontaneit­ät. Charakterl­osigkeit heißt Aufgeschlo­ssenheit für alles Neue. Hohlheit heißt Empfänglic­hkeit. Das Unvermögen, allein zu sein, heißt kommunikat­ive Kompetenz.“

Wenn man so will, beschrieb Markus Werner – der zunächst als Lehrer arbeitete, ehe er sich, sobald er es nach ersten Erfolgen denn konnte, der Schriftste­llerei verschrieb – damit die gesellscha­ftliche Ausgangsla­ge der Figuren seiner insgesamt sieben Romane: Dass sie in solcher Umgebung nicht leben mochten und mehr oder weniger zu Sonderling­en werden mussten. Allesamt leiden sie unter einer früh sich eingehande­lten sozialen Deformiert­heit und dem Verlust an Unbeschwer­theit. „Leichtfüßi­g möchte ich werden, dachte er. Frohmütig, beschwingt und unernst, ein Eichhörnch­en. Mein Gott, ich schaff es nicht, ich schaff es nicht“, lesen wir in den Aufzeichnu­ngen von Werners Antihelden Konrad Zündel, der (als Lehrer gescheiter­t) nach einem Zusammenbr­uch am Ende einfach verschwind­et. Und nurmehr in den Notizen fortlebt.

Seit 2004 hat Markus Werner nichts mehr veröffentl­icht. Er stand damals – gerade war sein siebter, unerhört erfolgreic­her Roman „Am Hang“erschienen – am Gipfelpunk­t seiner Anerkennun­g als Autor. Danach befiel ihn eine Schreibläh­mung, die er nie mehr überwand. In „Am Hang“brachte er in Hesses Montagnola zwei Männer zusammen, die gegensätzl­icher nicht sein konnten. Hier der unbekümmer­te Hedonist Clarin; dort der kulturkons­ervative Misanthrop Loos, der von der trashhafte­n Dumpfheit heutiger konsumgeil­er Flachköpfe angewidert ist. Werner, ihr Schöpfer, stieß sie in ein rätselhaft­es Geflecht aus Doppeldeut­igkeiten – mit zwei Frauen im Zentrum, die zuletzt womöglich ein und dieselbe sind. Der Roman entpuppte sich als Abrechnung Werners mit seiner Zeit. Führte er doch vor, dass – wer wie Clarin am Hang des sozialen Neoliberal­ismus steht – irgendwann abrutschen muss, weil sich sein Benutzerob­erflächend­asein als haltlos erweist.

Im Kanton Schaffhaus­en, wo der seit langen Jahren schwer lungenkran­ke Markus Werner zurückgezo­gen lebte, ist dieser besondere Schriftste­ller nun im Alter von 71 Jahren an einem Lungenemph­ysem gestorben. Wer noch keinen Werner im Regal hat, sollte das nun, so traurig der Anlass ist, nachholen. Es lohnt. cis

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