Schwanitz deklassiert Konkurrenz
Kugelstoßerin holt das erste deutsche EM-Gold in Amsterdam – Roleder legt nach – Bronze für Lückenkemper
Christina Schwanitz hielt stolz die deutsche Fahne in die Höhe und freute sich wie schon lange nicht mehr: Nachdem Deutschlands Kugelstoß-Königin die Konkurrenz nach Belieben dominiert und sich wie 2014 den EM-Titel gesichert hatte, war die lange Verletzungszeit vergessen. EM-Gold 2014 und 2016, Weltmeisterin 2015: Dem dritten Gold-Coup in Serie soll in 36 Tagen in Rio de Janeiro der nächste Triumph folgen – der Olympiasieg. Es ist der einzige Titel, der Schwanitz noch in ihrer großen Sammlung fehlt.
„Das ist jetzt machbar, es fehlen nur noch 20 Zentimeter zur Jahres-Weltbesten“, sagte Schwanitz glücklich. „Es ist eine riesige Last abgefallen. Wenn mir jemand vor neun Wochen gesagt hätte, dass ich mit über 20 Meter Europameisterin werde, hätte ich ihm eine eindeutige Geste gezeigt.“Für den Traum vom Olympia-Gold gab Schwanitz der Auftritt in Amsterdam ordentlich Rückenwind. 20,17 Meter im ersten Versuch der gesamten Konkurrenz bedeuteten europäische Jahresbestleistung für die Athletin vom LV Erzgebirge. Schon nach dem Siegesstoß riss sie jubelnd die Arme in die Höhe. Nie bestanden danach auch nur ansatzweise Zweifel, dass Deutschlands Sportlerin des Jahres 2015 eine Niederlage hinnehmen könnte. Es war gleichzeitig auch die erste EM-Medaille für das deutsche Team in Amsterdam.
Die Zweitplatzierte Anita Marton aus Ungarn hatte fast eineinhalb Meter Rückstand – einen so großen Vorsprung hatte es seit 18 Jahren nicht mehr gegeben. Sara Gambetta (Leipzig) kam mit persönlicher Bestleistung auf Platz sieben. Alle gültigen Versuche von Schwanitz hätten locker zum Sieg gereicht – eine Zweiklassengesellschaft. Dabei ist Schwanitz erst seit acht Wochen wieder richtig im Training. Erst behinderte sie ihre langwierige Knieverletzung, zuletzt machten ihr Probleme an der rechten Schulter zu schaffen. Selbst bei so alltäglichen Dingen wie Zähneputzen und Anschnallen schmerzte es. „Mein Mann hat sich amüsiert, als ich mir mit links die Zähne geputzt habe“, sagte sie: „Kleine Dinge wurden zu einem Problem – das war das Schlimmste.“
Nur knapp zwei Stunden später sorgte Vizeweltmeisterin Roleder für den nächsten Höhepunkt. In glänzenden 12,62 Sekunden sprintete die Leipzigerin zu ihrem ersten Titel über 100 Meter Hürden. Nur wenige Minuten zuvor hatte Gina Lückenkemper im 200-Meter-Finale ihre erste internationale Medaille gewonnen. Die 19-Jährige aus Dortmund sprintete in 22,74 Sekunden auf Platz drei und jubelte: „Was bei mir in der letzten Zeit abgegangen ist, war megakrass. Ich habe davon geträumt, hier eine Medaille zu gewinnen. Das ist supergeil“, sagte die Frohnatur.
Doch Freud und Leid lagen im Lager der deutschen Leichtathleten eng beieinander. Während Lückenkemper und Roleder ihre Triumphe noch ausgelassen feierten, war Speerwerfer Thomas Röhler nur wenige Meter entfernt dem Verzweifeln nahe. Mit für ihn indiskutablen 80,78 Meter musste sich der haushohe Favorit mit Rang fünf begnügen. Der 24-Jährige aus Jena lag damit mehr als zehn Meter hinter seiner Saison-Bestmarke von 91,28 Metern. Gold ging mit 86,66 Meter an den Letten Zigismunds Sirmais. Silber holte Tschechiens Ex-Weltmeister Vitezslav Vesely (83,59), Titelverteidiger Antti Ruuskanen aus Finnland wurde Dritter (82,44).
Für eine weitere Enttäuschung sorgte Julian Reus. Der neue 100Meter-Rekordhalter (10,03) verpasste im Halbfinale als Dritter in 10,22 Sekunden den Einzug in den Endlauf, den der Niederländer Churandy Martina (10,07) gewann. „In einer Tausendstel-Entscheidung raus zu sein, ist natürlich scheiße“, sagte der Wattenscheider. Mehr als Platz fünf mit 1,93 Meter hatte sich wohl auch die deutsche Hochsprung-Meisterin Marie-Laurence Jungfleisch (Stuttgart) erhofft. Gold ging mit 1,98 Metern zum dritten Mal in Serie an die Spanierin Ruth Beitia.