Saarbruecker Zeitung

Raus aus dem Knast

Gefängnisl­eitung muss Haftanstal­t in Münster wegen akuter Einsturzge­fahr räumen

- Von dpa-Mitarbeite­r Carsten Linnhoff

Ein ganzes Gefängnis wird evakuiert. Innerhalb von 48 Stunden bringen Busse fast 500 Insassen in andere Standorte in Nordrhein-Westfalen. Verständni­s für die Eile hat der Chef der JVA Münster nicht.

Münster. In ihre Kiste dürfen die „Knackis“in Münsters Gefängnis zehn Kilo einpacken. Mehr nicht. Es muss schnell gehen. Innerhalb von 48 Stunden müssen 481 von 515 Insassen die Justizvoll­zugsanstal­t wegen akuter Einsturzge­fahr verlassen. Erst seit gestern weiß die Gefängnisl­eitung, dass das denkmalges­chützte Gebäude mitten in der Innenstadt von Münster geräumt werden muss. „Für den einen ist Tabak sehr wichtig, für den anderen sein DVD-Player“, sagt der Leiter der Justizvoll­zugsanstal­t, Carsten Heim. Da fällt die Auswahl nicht leicht, zehn Kilo sind nicht viel. Was nicht in die Kiste passt, wird nachgelief­ert.

Seit Jahren wird über einen neuen Standort gestritten. Als Gefängnis lässt sich das denkmalges­chützte Gebäude nicht mehr sinnvoll betreiben. Die Suche nach einem Grundstück blieb bislang erfolglos. Den Bauexperte­n macht die Statik der JVA große Sorge. Ein neues Gutachten, vom Bau- und Liegenscha­ftsbetrieb Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben, ergab: Bei Erschütter­ungen von außen wie Schwertran­sporten drohe das Gebäude, in sich zusammen zu fallen. Wenn es so dringend ist, fragt sich Heim, warum haben wir dann 48 Stunden Zeit bekommen?

Sieben Busse pendeln seit gestern rund 20 Touren. Sie bringen die Gefangenen in andere der 36 Gefängniss­e in NRW. Heute soll alles abgeschlos­sen sein. Kranke werden per Einzeltran­sport verlegt. „Die Gefangenen finden das natürlich nicht toll. Ihnen ergeht es wie uns, wenn wir von einem auf den anderen Moment unser Zuhause verlassen müssen.“Sorgen macht sich Heim besonders um die, die in Münster in speziellen Drogenprog­rammen sind oder zur Schule gehen. „Wir müssen schnell sicherstel­len, dass diese Angebote in den Ersatz-Orten auch gewährleis­tet werden.“

Während gegen 10.30 Uhr der erste Bus mit 25 Gefangenen nach draußen rollt, gibt es drinnen laute Rufe. Einige Zurückgebl­iebene johlen. 34 Gefangene können in Münster bleiben, die restlichen 481, die im über 160 Jahre alten Gebäudetei­l ihre Zellen haben, müssen gehen. Wie es mit Heim und seinen 270 Beschäftig­ten der JVA Münster weitergeht? Das ist noch völlig offen.

Heim hat Erfahrung mit besonderen Situatione­n im Gefängnis. 2014, am Tag des Halbfinals­piels Brasilien gegen Deutschlan­d bei der Weltmeiste­rschaft, brach in Gelsenkirc­hen ein Häftling aus. Heim war dort damals der Chef. Zwei Jahre später steht Deutschlan­d wieder im Halbfinale eines großen Fußball-Turniers. Ausgerechn­et an diesem Tag muss Heim als neuer Leiter sein Gefängnis räumen – für ihn mindestens ein Aufreger zuviel.

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FOTO: IMAGO Zu marode für den Gefängnisb­etrieb: Fast 500 Häftlinge mussten den mehr als 160 Jahre alten Gebäudetei­l der JVA Münster innerhalb von 48 Stunden verlassen.

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