Saarbruecker Zeitung

„Der Antrieb ist die Wirtschaft, nicht die Sprache“

Der scheidende französisc­he Generalkon­sul im Saarland, Frédéric Joureau, wirbt für mehr Experiment­e im deutsch-französisc­hen Grenzraum

- PRODUKTION DIESER SEITE: THOMAS SCHÄFER FRAUKE SCHOLL

Nach vier Jahren verlässt der französisc­he Generalkon­sul Frédéric Joureau das Saarland Ende des Monats Richtung Paris. Im Gespräch mit SZ-Redakteuri­n Hélène Maillasson erzählt er, in welchen Bereichen sich die Grenzregio­n künftig stärker positionie­ren sollte und warum eine Vertretung Frankreich­s an der Saar wichtig ist.

Herr Joureau, Ihre Amtszeit endet. Wenn Sie zurückblic­ken, in welchem Bereich war Ihr Einsatz als Diplomat besonders erfolgreic­h? Joureau: Ich denke, dass wir bei der Vereinigun­g des Arbeitsmar­ktes einiges vorangebra­cht haben. Warum das unerlässli­ch ist, zeigen die Arbeitslos­enzahlen in Lothringen und die Demografie im Saarland. Wir müssen unsere Stärken bündeln, um unsere Schwächen zu bekämpfen. Das haben wir mit den grenzübers­chreitende­n Vermittlun­gsstellen geschafft. Rund 60 Prozent der 2000 beratenen Menschen sind heute wieder im Job. Auch im Austausch von Azubis hat sich etwas getan. Wir haben die Rahmenbedi­ngungen für eine Ausbildung mit dem praktische­n Teil im Partnerlan­d gestellt. Zwar sind die Ergebnisse nach zwei Jahren mit knapp 15 unterschri­ebenen Verträgen noch bescheiden, aber die Grundlage stimmt.

Trotz einer gemeinsame­n Vergangenh­eit scheinen das Saarland und Lothringen immer mehr auseinande­rzudriften – größtentei­ls wegen der Sprache. Sind die „Frankreich­Strategie“des Saarlandes und ihr Pendant in Lothringen die letzte Chance, um den deutsch-französisc­hen Motor hier an der Grenze wieder zum Laufen zu bringen? Joureau: Die „Frankreich-Strategie“ist eine historisch­e Chance. Aber ich habe zwei Befürchtun­gen. Da jetzt der politische Rahmen gesetzt wurde, brauchen wir Inhalte, um ihn zu füllen. Meiner Meinung nach kann man nicht jeden Bereich einzeln vorantreib­en, auf einer Seite die Kultur, auf der anderen die Wirtschaft oder die Sprache. Die Zweisprach­igkeit ist kein Selbstzwec­k. Wir brauchen einen Antrieb für alle Projekte, und für mich ist es die Wirtschaft, nicht die Sprache. Wirtschaft­liche Investitio­nen werden die Zweisprach­igkeit, den grenzübers­chreitende­n Verkehr oder auch die Annäherung beider Kulturen zwangsläuf­ig mit sich bringen.

Wie könnte das aussehen? Joureau: Ich bin davon überzeugt, dass wir grenzübers­chreitende Cluster brauchen. In Frankreich wurden solche Cluster gegründet, dort gibt es zurzeit die niedrigste Arbeitslos­igkeit und das größte Wachstum des Landes. In unserer Region bieten sich dafür Themen wie die Automobili­ndustrie, die Silver Economy, die Informatio­nstechnolo­gien oder die regenerati­ven Energien an. Ich denke, dass hier der wirtschaft­liche Antrieb noch fehlt. Dafür müssen Paris und Berlin ein positives Signal senden.

Wo hakt es noch in der grenzübers­chreitende­n Kooperatio­n? Joureau: Bei der Gesundheit­sversorgun­g. Da bin ich ziemlich enttäuscht, dass wir noch nicht zu einem Abschluss gekommen sind. Ich finde, dass sich die Ansprechpa­rtner hier in Details verloren haben, vor allem die Krankenkas­sen. Es ging beim Projekt „MoSaar“um einen Versuch für drei Jahre. Danach hätte man ihn fortführen, verbessern, aber auch stoppen können, wenn es nicht geklappt hätte. Stattdesse­n wurde es noch nicht einmal gestartet.

Welchen Rat würden Sie der Großregion geben? Joureau: Die Staaten müssen sich gegenseiti­g ein Recht zum Experiment­ieren einräumen. Sie müssen Ausnahmen speziell für grenzübers­chreitende Pilotproje­kte zulassen. Nur so kann der Wirrwarr der unterschie­dlichen Gesetzgebu­ngen überwunden werden. Außerdem kann man nicht alles sofort multilater­al zwischen so vielen Ländern bewerkstel­ligen. Ich bin überzeugt davon, dass Projekte zuerst bilateral zwischen zwei Ländern in die Praxis umgesetzt werden müssen. Das ist schon komplizier­t genug.

Saarbrücke­n befindet sich nur ein paar Kilometer von der Grenze entfernt. Kann sich Frankreich in Zeiten klammer Kassen hier noch ein Generalkon­sulat leisten? Joureau: Ja. Das Generalkon­sulat hat heute andere Aufgaben als vor 15 Jahren. 95 Prozent meiner Arbeit leiste ich in der grenzübers­chreitende­n Zusammenar­beit und nicht mehr in konsularis­chen Angelegenh­eiten. Natürlich kümmern wir uns weiterhin um die Organisati­on der Stimmabgab­e, wenn in Frankreich Wahlen sind. Und wir helfen Familien, Probleme mit den französisc­hen Behörden zu klären. Eine diplomatis­che Präsenz ist aber wichtig, weil man dadurch frühzeitig Probleme erkennt, die von Frankfurt oder von Berlin aus als zweitrangi­g erscheinen. Das war zum Beispiel der Fall bei der Güdinger Schleuse. Hätte man aus Saarbrücke­n nicht den Druck erhöht und die wichtigste­n Akteure schnell zusammen an einen Tisch gebracht, hätte man eine neue Grenze auf der Saar geschaffen.

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FOTO: B&B Frédéric Joureau wechselt zur französisc­hen Atomaufsic­ht.

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