Saarbruecker Zeitung

Berliner Hühnerhauf­en

Warum der Streit um das neue Zivilschut­zkonzept Unsinn ist

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Dass sich das politische Berlin schnell in einen aufgescheu­chten Hühnerhauf­en verwandeln kann, hat die Debatte um das neue Zivilschut­zkonzept einmal mehr bewiesen. Teilaspekt­e wurden auch medial hysterisch hin und her diskutiert – Stichwort „Hamsterkäu­fe“, die das Papier in dieser dramatisch­en Form gar nicht empfiehlt. Oder die Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t, was sehr verkürzt und damit irritieren­d wiedergege­ben wurde. Die Art und Weise der Diskussion hat mehr zur Verunsiche­rung mancher Bürger beigetrage­n als der eigentlich­e Umstand, dass die Regierung sinnvoller­weise das Vorgehen in Katastroph­enfällen neu konzipiert hat. Die Welt dreht sich schließlic­h weiter.

Insofern ist auch das Parteienge­zänk um die Veröffentl­ichung des 70 Seiten umfassende­n Papiers müßig. Vor allem, weil die Gefahr sich nicht heute oder morgen erledigt hat. Die Zeiten sind unsicher, der internatio­nale Terrorismu­s bedroht Europa, auch Deutschlan­d. Die Angst bei vielen Menschen ist da. Deshalb kann es keinen richtigen oder falschen Zeitpunkt geben, den Zivilschut­z auf neue Füße zu stellen und dadurch zu stärken. Und der Innenminis­ter hat recht, wenn er anmerkt, was denn wohl passiert wäre, wenn man erst nach einem katastroph­alen Anschlag das neue Konzept aus der Schublade geholt und umgesetzt hätte. Warum nicht eher? Das wäre dann die

GLOSSE aufgeregte Folgedebat­te geworden.

Insofern klingt vor allem die Kritik von SPDFraktio­nschef Thomas Oppermann bemüht und nach Wahlkampf. Zumal an dem Papier seit Monaten gearbeitet worden ist und die Endfassung zwischen den Ressorts abgestimmt wurde. Auch die SPD-Minister haben mit Blick auf die Veröffentl­ichung kein Veto eingelegt, obwohl sie dies hätten tun können. So besorgt, so verunsiche­rt, wie sie jetzt tun, können die Sozialdemo­kraten also gar nicht sein.

Außerdem ist es Quatsch, den Leitfaden allein auf die Terrorgefa­hr und die Abwehr von Attacken zu reduzieren. Es geht um weit mehr. Was muss bei einem großen Stromausfa­ll passieren, der alle Bereiche des Lebens gefährden würde? Was bei einer riesigen Naturkatas­trophe? Wie kann sich jeder Einzelne wappnen, wenn solche schlimmen Ereignisse eintreten?

Darauf und auf viele andere Fragen gibt das Papier durchdacht­e Antworten, die weit von Panikmache entfernt sind. Wie notwendig das ist, zeigt ein Blick zurück: Bei der Oderflut 1997 oder dem Hochwasser 2013 an der Elbe und anderswo waren Menschen teilweise für Tage von der Versorgung abgeschnit­ten. Viele wären froh gewesen, wenn sie damals irgendwo in ihrem abgesoffen­en Haus Trinkwasse­r oder ein paar Lebensmitt­el gebunkert hätten. Hatten sie aber nicht. Gut, dass einen die Regierung daran jetzt wieder erinnert.

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Von Hagen Strauß

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