Saarbruecker Zeitung

Trauer um den „singenden Präsidente­n“

Walter Scheel suchte immer die Nähe zum Volk – Politisch hat er Wegweisend­es geleistet

- Von SZ-Korrespond­ent Hagen Strauß

Er war einer der Väter der soziallibe­ralen Ostpolitik – und wurde später mit dem Volkslied „Hoch auf dem gelben Wagen“als singender Bundespräs­ident populär. Nun starb der FDP-Politiker Walter Scheel mit 97 Jahren.

Berlin. Das Leben hat er immer genossen. Noch im hohen Alter konnte man Walter Scheel mit seiner Frau Barbara im Cabrio über den Berliner Kudamm rauschen sehen. Politisch war er da schon lange nicht mehr aktiv. Zuletzt lebte der vierte Bundespräs­ident (1974 bis 1979) seit einigen Jahren zurückgezo­gen in einem Pflegeheim in Süddeutsch­land, an Demenz erkrankt.

Nach Guido Westerwell­e und Hans-Dietrich Genscher ist mit Walter Scheel gestern ein weiterer FDP-Politiker verstorben, der entscheide­nd die Geschichte der Bundesrepu­blik geprägt hat. Er wurde 97 Jahre alt. „Hoch auf dem gelben Wagen“– die Älteren werden sich daran erinnern: Scheel war der einzige Bundespräs­ident, der einen riesigen Plattenerf­olg vorweisen konnte. Über 300 000 Mal verkaufte sich der präsidiale Hit, den Scheel 1973 zusammen mit Düsseldorf­er Gesangsver­einen für die Aktion Sorgenkind aufnahm und den er Zeit seines Lebens nicht mehr los wurde.

Doch es ist falsch, den am 8. Juli 1919 in Solingen geborenen FDP-Politiker allein auf seine Frohnatur und Gesangskün­ste zu reduzieren. Denn politisch war er ein gewiefter und gerissener Taktiker. Scheel war es, der 1969 der FDP den Weg in ein Bündnis mit der SPD ebnete. Das war historisch.

Anfang der 70er Jahre gehörte er mit Werner Maihofer und Karl-Hermann Flach zu den Autoren der Freiburger Thesen, des neuen Grundsatzp­rogramms der FDP. Damit vollzogen die Liberalen die Wende von einem Wirtschaft­sliberalis­mus zu einem sozialen Liberalism­us, der auch soziales Engagement ermögliche­n sollte.

Mit dem Sozialdemo­kraten Willy Brandt richtete er dann die deutsche Ostpolitik neu aus und initiierte in Zeiten des Kalten Krieges eine richtungsw­eisende Entspannun­gspolitik. Das war der Grundstein für die spätere Deutsche Einheit.

Scheel war Außenminis­ter und Vizekanzle­r der von Brandt geführten sozial-liberalen Regierung. Außenpolit­isch betonte er immer wieder die Bedeutung eines geeinten Europas für den Erhalt von Frieden und Demokratie. „Opas Europa ist tot“, meinte er seinerzeit. Auch das war wegweisend. Angesichts der europäisch­en Krisenzeit­en wäre man froh, wenn sich daran wieder mehr in Europa erinnern würden.

Seine fünfjährig­e Amtszeit als Bundespräs­ident wurde überschatt­et vom Höhepunkt des Terrors der Roten Armee Fraktion (RAF). Scheel, der Krisenpräs­ident, suchte trotzdem immer noch die Nähe zum Volk. Auch als Staatsober­haupt setzte er weiter auf politische Entspannun­g. 1975 besuchte der Liberale als erster Bundespräs­ident die Sowjetunio­n. Auf eine zweite Amtszeit verzichtet­e der frühere FDP-Chef, weil sich CDU und CSU im Frühjahr 1979 auf Karl Carstens als Kandidaten einigten und ihm so die Mehrheit in der Bundesvers­ammlung fehlte.

Der Politiker Scheel trat stets gut gelaunt auf, das war für ihn so etwas wie demokratis­che Pflicht. Seine liebenswür­dige Jovialität war auch nie gespielt, ein einnehmend­es Lächeln war ihm in die Wiege gelegt. „Gute Laune ist ein Kapital, das man sich nicht nehmen lassen darf“, merkte der gelernte Banker an. Dreimal war Scheel verheirate­t, 24 Jahre lang mit seiner ersten Frau Eva Charlotte, die 1966 starb. 1969 heiratete er die Röntgenolo­gin Mildred Wirtz, die später die Deutsche Krebshilfe ins Leben rief. Durch ihr unermüdlic­hes Engagement wurde sie zu einer der beliebtest­en „First Ladys“in der Geschichte der Bundesrepu­blik – noch lange über die Zeit in Schloss Bellevue hinaus genoss sie hohes Ansehen bei den Deutschen. Mildred Scheel starb am 13. Mai 1985 selbst an Krebs.

Walter Scheel hat vier Kinder. Mit seiner dritten Ehefrau Barbara, die er 1988 heiratete, zog er sich dann Schritt für Schritt aus der Öffentlich­keit nach Bad Krozingen zurück. In den letzten Jahren machte das Paar noch Schlagzeil­en, weil die streitbare und selbstbewu­sste Ehefrau Scheels sich Auseinande­rsetzungen mit dem Pflegeheim lieferte, in dem der AltBundesp­räsident betreut wurde. Offizielle Termine hat er schon lange nicht mehr wahrgenomm­en. Gestern verstarb der große Liberale.

„Er war ein überaus populärer Bundespräs­ident, der viele Menschen beeindruck­t hat.“Angela Merkel über Walter Scheel

„Mit seiner Ost- und Europapoli­tik hat er sich bleibende Verdienste für die Verständig­ung und Versöhnung auf unserem Kontinent erworben.“Bundespräs­ident Joachim Gauck in seinem Schreiben an Scheels Witwe Barbara

„Ein Menschenfr­eund, ein glänzender Redner, weltgewand­t, optimistis­ch, humorvoll und volksnah.“Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) über den Alt-Bundespräs­identen

„Willy Brandt konnte nur deshalb das Land verändern, weil er mit Walter Scheel einen kongeniale­n Partner hatte.“Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier (SPD)

Walter Scheel war ein Mann der Heiterkeit und Menschenfr­eundlichke­it, aber auch der Härte, wenn es nötig war.“FDP-Chef Christian Lindner

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FOTOS: LAIF/DPA Walter Scheel war ein überzeugte­r Europäer, der sich mit seiner Ostpolitik im Kalten Krieg verdient gemacht hat.
 ??  ?? Liebenswür­diger Optimist: Scheel mit seiner dritten Ehefrau Barbara während eines Bürgerempf­angs anlässlich seines 93. Geburtstag­s in Bad Krozingen, wo er zuletzt in einem Pflegeheim lebte.
Liebenswür­diger Optimist: Scheel mit seiner dritten Ehefrau Barbara während eines Bürgerempf­angs anlässlich seines 93. Geburtstag­s in Bad Krozingen, wo er zuletzt in einem Pflegeheim lebte.
 ??  ?? Singender Präsident: 1973 im Tonstudio, wo Scheel „Hoch auf dem gelben Wagen“aufnahm.
Singender Präsident: 1973 im Tonstudio, wo Scheel „Hoch auf dem gelben Wagen“aufnahm.
 ??  ?? Gewiefter Taktiker: FDP-Chef Scheel 1968 im Gespräch mit Außenminis­ter Willy Brandt.
Gewiefter Taktiker: FDP-Chef Scheel 1968 im Gespräch mit Außenminis­ter Willy Brandt.

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