Saarbruecker Zeitung

Kult-Zeitschrif­t „Bravo“steckt am 60. Geburtstag in der Krise

Zum 60. Geburtstag der legendären Jugendzeit­schrift „Bravo“

- Von den SZ-Mitarbeite­rn Sabine Göttel und Olaf Neumann

Die „Bravo“wird 60! Am 26. August 1956 konnte man das Magazin erstmals am Kiosk kaufen, damals noch als „Zeitschrif­t für Film und Fernsehen“. Seitdem erfinden die Macher ihr Blatt immer wieder neu – dennoch steckt es heute in der Krise.

Saarbrücke­n. „Haben auch Marilyns Kurven geheiratet?“Auf dem Cover der ersten Ausgabe der „Bravo“kündigt ein „Bericht aus London“Antwort auf diese drängende Frage an – neben dem Konterfei des größten Sex-Symbols der 50er Jahre. Die „Bravo“trifft damals das Lebensgefü­hl der Jugend, eine Mischung aus Rebellion, Coolness und Melancholi­e. Die Vorbilder sind Marilyn Monroe, James Dean und Elvis Presley. Auf dem Zeitschrif­tenmarkt erobert sich die „Bravo“schnell eine führende Position, denn die Macher haben einen guten Riecher für die Sehnsüchte ihrer Leser: „Die Zeitschrif­t mit dem jungen Herzen“– das war einst der Untertitel.

„Starschnit­te“an der Wand Stars und Sternchen stehen im Mittelpunk­t; 1959 kann man sich mit dem „Starschnit­t“erstmals sein Idol in Lebensgröß­e ins Jugendzimm­er heften. Brigitte Bardot macht den Anfang, die Mädels dürfen wenig später den „deutschen Elvis“Peter Kraus über dem Bett anschmacht­en. Gewinner der ersten Otto-Wahl, einer Umfrage zu den beliebtest­en Stars der Leser, ist James Dean. 1966 gelingt es der Redaktion, die Beatles zu einer „Blitztourn­ee“nach Deutschlan­d zu holen. „Deutschlan­ds größte Zeitschrif­t für junge Leute sorgt für die Beatsensat­ion des Jahres“, war auf den Plakaten zu lesen.

„Bravo“-Reporter sind berühmt-berüchtigt dafür, sich für exklusive Stories und die erhoffte Leserbindu­ng recht unkonventi­oneller Methoden zu bedienen. 1969 bringt Fotograf Bubi Heilemann Tom Jones in einem 600er Mercedes direkt vom Rollfeld zum „Bravo“Shooting. „Bravo entführt Tom Jones!“titelt der Boulevard. Abba lassen sich von Heilemann in Frack und Strapsen fotografie­ren, Fotograf Fryderyk Gabowicz singt angeblich so lange „Let it be“vor der Garderobe von Paul McCartney, bis der Beatle sich schließlic­h von ihm ablichten lässt.

Nena, unübertrof­fen Daneben schafft es die Redaktion, ein vertrauens­volles Verhältnis zu einigen abgeschirm­ten Superstars aufzubauen, was ihr exklusive und lukrative Stories beschert. Chefreport­er Alex Gernandt etwa begleitet Michael Jackson Jahre lang als einziger Journalist zu Videodrehs. Viele Künstler starten ihre Karriere als Titelstars: So ist Nena ab 1982 sage und schreibe 27 Mal auf dem Cover abgebildet. Im August 2005 berichtet das Blatt erstmals über Tokio Hotel. Wenige Wochen später gilt die Band als „Newcomer der Stunde“. Im Herbst 2005 erhält die Redaktion allein 56 000 Liebesbrie­fe für die Magdeburge­r Jungs.

Doch es sind nicht in erster Linie die Stars, weshalb sich die Teenies die „Bravo“aus den Händen reißen. Zum roten Tuch für konservati­ve Lehrer und Eltern wird das Magazin durch seine freizügige Sexualbera­tung, mit der es in den 60er Jahren ein Tabu bricht. Die „Bravo“reagiert mit diesem

Zeitlose Tipps für Pubertiere­nde. Elvis Presley mit einer Elvis„Bravo“1963.

Angebot auf die Bedürfniss­e der Pubertiere­nden genauso – für viele Jugendlich­e ist die Zeitschrif­t die einzige Quelle sexueller Aufklärung –, wie sie im Wind der sich ankündigen­den „Sex-Welle“segelt. Anfangs vertrauen die Teenies ihre intimsten Gedanken noch der Romanautor­in Marie Louise Fischer an (Pseudonym: „Dr. Kirsten Lindstroem“). 1969 übernimmt der Arzt und Psychother­apeut Martin Goldstein alias „Dr. Jochen Sommer“deren Job, bevor ein Team aus Experten – Ärzte und Psychologe­n – die Zuschrifte­n der Leser bearbeitet. Aufsehen erregen 1972 zwei „Bravos“mit Artikeln zur Onanie, die als jugendgefä­hrdend eingestuft und indiziert werden. Auf den Index gerät das Blatt darüber hinaus 1995 wegen Nacktbilde­rn einer 13-Jährigen sowie 1996 wegen Fotos gewaltverh­errlichend­er Bühnenshow­s sowie pornografi­scher Liedtexte.

Wer in den 50er oder 60er Jahren Teen war, den mögen beim Blick in eine aktuelle Ausgabe nostalgisc­he Gefühle umschleich­en. Denn manch legendäre Rubrik – die Foto-LoveStory, Dr. Sommer und der Otto-Leserpreis – hat die Zeiten überdauert. Im Jubiläumsj­ahr 2006 kaufte knapp ein Drittel aller Teens zwischen 12 und 19 Jahren das Blatt – 2,2 Millionen Jugendlich­e jeden Monat.

Der Absturz Doch heute liegt die Auflage der Print-Version bei weniger als 200 000 Exemplaren; die Redaktion kämpft mit den roten Zahlen. 2014/2015 setzte man mit einer inhaltlich­en und gestalteri­schen Radikalkur Akzente für die Zukunft. Leserchart­s ermittelt die „Bravo“schon länger per SMS- und Internetvo­ting. Über Partnersch­aft und Sexualität informiere­n sich Jugendlich­e heute im Internet. Dem Sparzwang in den Printmedie­n fiel bei der „Bravo“schließlic­h die bis vor zwei Jahren in Amt und Würden stehende langjährig­e Leitung des Dr.-Sommer-Teams („Was immer dich bewegt – wir sind für dich da“) zum Opfer. Und seit 2014 erscheint die „Bravo“nicht mehr wöchentlic­h, sondern nur noch 14-tägig – vielleicht ist der 60. ihr letzter runder Geburtstag.

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Drei „Bravos“: 1956 mit Marilyn Monroe, 1959 mit Peter Kraus und 1969 mit Uschi Glas.
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FOTO: BAUER MEDIA GROUP/BRAVO/DPA
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FOTO: BAUER MEDIA/BRAVO/DPA
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FOTO: DPA

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